𝐒𝐮𝐛𝐣𝐞𝐤𝐭𝐢𝐯𝐞𝐫 𝐁𝐞𝐫𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐚𝐮𝐬 𝐝𝐞𝐦 𝐒𝐭𝐚𝐝𝐭𝐫𝐚𝐭 𝐯𝐨𝐦 𝟑𝟎.𝟏.𝟐𝟎𝟐𝟓
Eine überaus kurze Tagesordnung ist abzuarbeiten. So kurz, dass der Ältestenrat entscheidet, die Sitzung ohne obligatorische Bockwurstpause durchzuführen. (Ältestenrat ist eine irreführende Bezeichnung, klingt nach Kriegsbeil oder Friedenspfeife. Es müsste eigentlich Fraktionsvorsitzendentreff heißen. Bevor die Tagesordnung der nächsten Sitzung veröffentlicht wird, treffen sich die Fraktionschefs und -chefinnen mit dem OB, um die Punkte zu besprechen. Der „Ältestenrat“ sitzt auch nicht um ein Lagerfeuer, sondern tagt mittlerweile online per Videokonferenz.)
Im Mittelpunkt der Sitzung steht die Einbringung des Haushaltes für 2025/26. Erfreulich früh für Görlitzer Verhältnisse. Das übernimmt traditionell die Finanzverantwortliche im Rathaus, Birgit Peschel-Martin. Unser Etat entpuppt sich mal wieder als Überraschungsei. Gegen alle vorherigen Prognosen fällt das Defizit für 2025 deutlich geringer aus. Minus 4,7 Millionen Euro sind es „nur“. Noch im September wurde mit einem Defizit von rund 13 Millionen Euro kalkuliert.
Maßgeblicher Grund dafür sind die gestiegenen Einnahmen aus der Gewerbesteuer, die 2024 um fünf Millionen Euro höher ausgefallen sind. Ein Unternehmen, das sich gut entwickelt hat und umstrukturiert wurde, hat dazu beigetragen – mehr Details kann Frau Peschel-Martin aufgrund des Steuergeheimnisses auf Nachfrage meines Fraktionskollegen Danilo Kuscher (Motor) nicht geben. Außerdem sind die Ausgaben für verschiedene externe Dienstleistungen um drei Millionen Euro gesunken. So stehen zu Beginn dieses Jahres noch 6,6 Millionen Euro in der Rücklage.
Auch für 2025 erwartet Peschel-Martin deutlich höhere Gewerbesteuereinnahmen. Die Stadt könnte dadurch fast 28 Millionen Euro einnehmen. Zuletzt wurde befürchtet, dass wir nur um die 20 Millionen Euro erzielen. Außerdem rechnet die Stadt mit höheren Zuschüssen vom Freistaat – etwa fünf Millionen Euro mehr als gedacht. Das hilft, die geringeren Einnahmen aus der Einkommenssteuer und die durch Tarifsteigerungen höheren Personalkosten auszugleichen. Unsere Rücklagen werden somit bis Ende 2025 reichen.
Das ändert sich 2026, zumindest laut aktueller Prognose. Dann klafft ein Loch von 19 Millionen Euro im Haushalt. Auch in den Folgejahren soll es ähnlich aussehen. Unser Job im Stadtrat ist es daher, nach weiteren Einsparungen oder zusätzlichen Einnahmen zu suchen. Die Stadt benötigt ein Sparkonzept für die kommenden Jahre. Das wird nicht einfach. Fast die Hälfte des Etats gehen für Personalkosten und die Kreisumlage drauf.
Trotz der angespannten Haushaltslage wird investiert. Für Pflichtaufgaben sollen Kredite aufgenommen werden. Neben bereits genehmigten 12,5 Millionen Euro für die neue Oberschule sind in der Finanzplanung bis 2029 weitere 8,6 Millionen Euro vorgesehen. Zum Beispiel für ein neues Tanklöschfahrzeug der Berufsfeuerwehr, Sanierungen der Kita Wirbelwind, des Sportplatzes Biesnitz und der Jahnsporthalle.
Der Haushaltsplan wird am 11. Februar öffentlich ausgelegt – auch online. Danach haben alle Görlitzer bis zum 28. Februar Zeit, sich zu äußern. Der Stadtrat soll den Etat Ende März beschließen. Dann wird es auch eine öffentlich wahrnehmbare Diskussion geben.
Mein Fazit aus dem Vortrag: Die Haushaltsplanung gleicht immer mehr einer Lotterie. Glücklicherweise zieht Görlitz dabei keine Nieten. Das deutliche Plus bei den Gewerbesteuern – auch wenn es nur durch ein Unternehmen kommt – ist bemerkenswert. Böte man Wetten an, um welchen Steuerzahler es sich handelt, würde Birkenstock sicherlich gut im Rennen liegen.
Zurück aus dem Reich der Spekulationen in den Ratssaal.
𝐈𝐧𝐟𝐨𝐫𝐦𝐚𝐭𝐢𝐨𝐧𝐞𝐧 𝐝𝐞𝐬 𝐎𝐁
Brisant für viele Menschen ist die Ankündigung, dass der Waggonbau zu einer Panzerfabrik werden soll. Am Mittwoch lädt Alstom zu einem Pressetermin ins Werk ein, an der auch Bundeskanzler Olaf Scholz teilnimmt. OB Ursu erklärt im Stadtrat sinngemäß: Wenn die Rahmenbedingungen im Schienenfahrzeugbau nicht mehr stimmen und wir eine Chance haben, die Industriearbeitsplätze zu erhalten, ist das okay. Wir brauchen uns nicht schämen, wenn wir dazu beitragen, die Bundeswehr zu modernisieren und unsere Sicherheit zu erhöhen. (Nachtrag von mir: Mit Blick auf die Gewerbesteuereinnahmen ist eine solche Ansiedlung auch positiv.)
Alle weiteren Fragen eines möglichen Verkaufs des Waggonbaugeländes an KNDS sind derzeit offen. Wird die gesamte Fläche genutzt? Müssen Gebäude neu gebaut, alte abgerissen werden? Wichtig für mich: Teilflächen des Sportplatzes Junge Welt gehören Alstom. Dort steht nahezu die gesamte Vereinsinfrastruktur des NFV Gelb-Weiß Görlitz 09 e.V. mit Umkleiden, Sanitärräumen und Vereinsgaststätte. Der Sportausschuss wird drauf achten, dass dieser Aspekt nicht vergessen wird.
In der 𝐄𝐢𝐧𝐰𝐨𝐡𝐧𝐞𝐫𝐟𝐫𝐚𝐠𝐞𝐬𝐭𝐮𝐧𝐝𝐞 kommt Kurt Bernert zu Wort. Er möchte wissen, ob Görlitz eine kommunale Verpackungssteuer auf Einweggeschirr erheben möchte. OB Ursu sagt eine Prüfung zu. Bislang habe man gewartet, wie Gerichte entscheiden, nachdem Tübingen mit einer ersten solchen Steuer vorgeprescht war. Nun sind die Urteil im Grundsatz zugunsten der Kommune ausgefallen, so dass Görlitz sich intensiver damit beschäftigen kann.
Weiterhin kritisiert Kurt Bernert, dass vermehrt Glasscherben auf Fußwegen in der Innenstadt liegen. Ursu erläutert, dass die Stadt viel Geld in die Reinigung steckt. Bei gezielten Hinweisen (z.B. über den Mängelmelder) wird auch zwischendurch gereinigt. Für Sauberkeit können wir als Bürgerschaft aber letztlich nur gemeinsam sorgen.
Punkt drei von Herrn Bernert sind Übergriffe rechter Jugendlicher (er nennt sie „Scheiteljugend“) an Görlitzer Montagen. Er fordert mehr Präsenz der Ortspolizei. OB Ursu erwidert, dass Vorkommnisse zwingend an die Polizei gemeldet werden müssen. Die Ortspolizei kann nicht 24 Stunden präsent sein. Bei den jüngsten Vorkommnissen wurde aus seiner Sicht schnell gehandelt, es gab Festnahmen und Ermittlungen.
Einige Punkte aus der Fragestunde für Stadträte
Dieter Gleisberg (CDU): Am Nordostrand wurden wie jedes Jahr große Strandteile weggespült. Gibt es dagegen tragfähige Konzepte?
Bürgermeister Benedikt Hummel wiederholt die Argumente aus den Vorjahren: Es handelt sich um ein großes Projekt der LMBV. Wellenbrecher sind geplant. Die Stadt möchte eine Variante, die den Strand sichert, aber auch das Baden zulässt. Es gibt keine aktuelle Planung dazu. Wir brauchen Geduld, bis dahin muss die LMBV weiter den Strand aufschütten, so Hummel. Anmerkung: Schon vor einigen Jahren hat mein Fraktionskollege Andreas Kolley angeregt, sich am Senftenberger See anzuschauen, wie das dort gelöst wurde. Soweit ich weiß, wurde eine solche (überschaubare) Dienstreise nicht unternommen.
Katharina Poplawski (AfD) moniert, dass am Fischmarkt nicht ersichtlich sei, dass man dort nicht parken dürfe. Vor allem Auswärtige könnten das nicht erkennen.
Ordnungsamtsleiter Uwe Restetzki erläutert, dass der Fischmarkt in der Parkverbotszone Altstadt liegt. Wenn man hineinfährt, weisen Verkehrsschilder darauf hin. Sollte das nicht mehr gewünscht sein, müsse man jeweils einzelne Schilder aufstellen. Das würde zu einem Schilderwald in der historischen Altstadt führen. Für mich ein No Go. Wer am Verkehr teilnimmt, sollte in der Lage sein, Schilder zu lesen.
Der Kinderarzt Hans-Christian Gottschalk (BfG) berichtet von Eltern, die Angst hätten, ihre Kinder Leitungswasser trinken zu lassen. Ob dazu mehr Aufklärung betrieben werden könne, möchte er wissen. OB Ursu sagt zu, die Stadtwerke zu diesem Thema einzuladen.
Gerald Rosal (AfD) beschwert sich über die Auslagen eines orientalischen Gemüseladens auf der oberen Berliner Straße. Das sei eine Gefährdung, da müsse sich die Stadt drum kümmern. Hat sie bereits, wie Bürgermeister Hummel erwidert. Mit überraschendem Ergebnis: Die Auslage wurde exakt so beantragt und genehmigt. Eine zweite Rosal-Kritik ist dagegen berechtigt: Die aufblasbare Winkefigur vor einem Barber-Shop wurde nicht genehmigt und ist auch nicht genehmigungsfähig.
𝐔𝐦𝐛𝐚𝐮 𝐁𝐞𝐫𝐮𝐟𝐬𝐟𝐞𝐮𝐞𝐫𝐰𝐞𝐡𝐫
Ganze drei Beschlüsse fassen wir an diesem Tag. Los geht’s mit zwei Punkten, die den geplanten Umbau der Berufsfeuerwehr betreffen. Damit Entwicklungen möglich werden, braucht es mehr Platz. Wir beschließen den Kauf eines Grundstücks Krölstraße/Gobbinstraße von den Stadtwerken, das rund 2900m2 groß ist. Kaufpreis rund 200.000 Euro.
Im nächsten Beschluss geht es um die Vergabe der Planungsleistungen für den Umbau der Berufsfeuerwehr.
Kurzer Blick zurück: Der Feuerwehrstandort läuft schon einige Jahre mit einer Ausnahmegenehmigung der Behörden. Er erfüllt nicht mehr die Standards. So sind die Feuerwehrfahrzeuge mittlerweile so breit, dass sie kaum noch durch die engen alten Tore passen (unser Foto zeigt die Feuerwehransicht auf der Gobbinstraße). Wenn es bei Einsätzen schnell gehen muss, ist das natürlich brandgefährlich.
Der ehemalige Baubürgermeister Michael Wieler setzte strategisch auf einen Umzug der Feuerwehr aufs Schlachthofgelände. Das hätte freilich nur neue Probleme aufgeworfen. Deshalb finde ich es gut, dass die Feuerwehrchefin Anja Weigel seit ihrem Amtsantritt im Sommer 2022 für den Erhalt und die Modernisierung des bestehenden Standortes gekämpft hat. Mittlerweile wird darüber nicht mehr diskutiert. Der Umbau soll kommen. Möglich wird er nur, wenn wir dafür Fördergelder akquirieren. Für einen solchen Antrag brauchen wir eine Planung. Und die vergeben wir in dieser Sitzung.
Der Auftrag geht an ein Radeberger Planungsbüro. Es hatte sich in einem „Verhandlungsverfahren mit Beteiligungswettbewerb“ durchgesetzt. Dabei war nicht der Preis allein ausschlaggebend. Die Planungsbüros reichten konkrete Ideen ein. Aus Radeberg kam die überzeugendste für das anspruchsvolle Vorhaben.
Der Vergabebeschluss wäre eine Formsache. Doch der AfD-Fraktionsvorsitzende Sebastian Wippel macht ein neues Fass auf. Da für den Umbau die Parkplätze wegfallen, die derzeit die Polizei nutzt, beantragt Polizist Wippel, dass die Planer prüfen sollen, wie die Parkplätze erhalten werden könnten. Sowohl von der Verwaltung als auch von der Feuerwehrchefin bekommt Wippel freundlich erklärt, dass diese Prüfung bereits erfolgt sei. Würde man seinem Antrag folgen, müsste man den gesamten Planungsprozess von vorn beginnen. Das würde das gesamte Verfahren gefährden. Doch Wippel bleibt bockig bei seinem Änderungsantrag, dem nicht mal seine Fraktion geschlossen folgt. Nur neun Leute stimmen dafür. Die eigentliche Vorlage beschließt der Stadtrat anschließend einstimmig.
𝐊𝐢𝐞𝐬𝐚𝐛𝐛𝐚𝐮 𝐇𝐚𝐠𝐞𝐧𝐰𝐞𝐫𝐝𝐞𝐫
Im letzten Tagesordnungspunkt geht es um eine Stellungnahme der Stadt Görlitz zum Kiesabbau in Hagenwerder. Der soll nochmals auf Antrag der Firma Heim verlängert werden, bis Ende Januar 2029. Meine Fraktion hatte in den letzten Jahren kritisiert, dass das Oberbergamt intransparent und ohne kommunale Beteiligung eine erste Verlängerung bewilligt hatte. Es ist positiv, dass es nun eine städtische Stellungnahme geben soll. Dabei ist wichtig zu wissen: Die Beurteilung wasserrechtlicher, naturschutzrechtlicher sowie immissionsschutzrechtlicher Belange liegt nicht in der Zuständigkeit der Stadt Görlitz, sondern in der des Landratsamtes. Wir haben rein kommunale Auswirkungen im Blick.
Unsere Fachämter schätzen ein: Aus straßenrechtlicher und straßenverkehrsrechtlicher Sicht wurde festgestellt, dass die seinerzeit geforderte und umgesetzte verkehrsrechtliche Anordnung (Tempo 70) ihren Zweck erfüllt hat und diesbezüglich kein Nachbesserungsbedarf besteht. Durch das Vorhaben waren keine Straßenverunreinigungen festzustellen, die den Verkehr beeinträchtigt hätten.
Die Europastadt Görlitz-Zgorzelec GmbH erklärt in einer Stellungnahme, dass es keine Beschwerden von Tourismusbetrieben am Berzdorfer See oder von Touristen gab. Auch der Ortschaftsrat Hagenwerde/Tauchritz hat keine Einwände. In unserer Fraktion gab es einige offene Fragen, die wir vom Oberbergamt beantwortet bekamen. Deshalb konnten wir der Beschlussvorlage zustimmen: Die Stadt Görlitz hat keine Einwände gegen eine Betriebsverlängerung.
Der Kiesabbau in Hagenwerder ist ein gutes Beispiel für die Komplexität von Entscheidungen im Stadtrat. Ich kann ein schlechtes Bauchgefühl haben. Mir kann es missfallen, dass vor den Toren einer Ortschaft, nahe am Tourismusgebiet, ein Kiesabbau stattfindet. Und ich muss mich auf der anderen Seite mit dem Bergrecht beschäftigen und mit der Frage von Nachhaltigkeit: Lagerstätten sind möglichst vollständig auszunutzen. Dies ist aus verschiedenen Gründen noch nicht erfolgt. Unter anderem weil es zu Beginn der Arbeiten archäologische Funde gab.
Einfache Antworten auf komplexe Fragen sind derzeit beliebt. Wir versuchen im Stadtrat diesem Trend zu widerstehen.
Wenn ihr Anregungen habt, mit uns unzufrieden seid oder gar die Ansicht vertretet, dass in Deutschland zu wenig gelobt wird, dann meldet euch bei uns.
Text und Foto: Mike Altmann