Subjektiver Bericht aus dem Stadtrat vom 26. Juni 2025
Von Tempo beim Bewohnerparken für die Nikolaivorstadt, Winkelzügen beim Warenhaus und ideologische Grabenkämpfen auf einem Acker in Hagenwerder.
Letzter Stadtrat vor der Sommerpause. Die ist diesmal tatsächlich zwei Monate lang. Hoffentlich bekommt niemand Entzugserscheinungen.
Die Sitzung startet schon 15 Uhr. Weil leider niemand von uns bei der Planung aufgefallen ist, dass wir am ViaThea-Donnerstag tagen. Damit wir beides verbinden können, wird früher angefangen. (Wir brauchen trotzdem bis kurz nach 18 Uhr…)
Oberbürgermeister Octavian Ursu informiert zunächst die Öffentlichkeit über Neuigkeiten:
Der Bau des REWE-Marktes im ehemaligen Werk 1 hat mit einem Spatenstich offiziell begonnen. Im Herbst 2026 können wir dort einkaufen.
Ebenfalls los geht’s im Gewerbegebiet Klingewalde. Der Zoll baut seinen neuen Standort auf. Ende August ist dann auch offizieller Startschuss für das Construction Future Lab, eine Forschungseinrichtung fürs Bauen der Zukunft.
Positiv Nachrichten gibt es auch vom Bahnhof. Auch wenn es noch eine Weile dauert: Alle Bahnsteige werden barrierefrei, Görlitz kommt ans Oberleitungsnetz in Richtung Polen- und somit an den internationalen Fernverkehr.
Bürgermeister Benedikt Hummel erfreut mit einem aktuellen Stand zum Bewohnerparken in der Nikolaivorstadt.
Voraussichtlich ab dem vierten Quartal 2025 kann eine Bewohnerparkzone eingeführt werden. Im Kerngebiet dürfen dann überwiegend nur noch Anwohner parken. Auf den Hauptstraßen am Rand der Nikovorstadt ist Parken für alle möglich. Die Hugo-Keller-Straße soll allerdings gebührenpflichtig werden. Das dürfte die Auslastung des Parkplatzes Altstadt verbessern. Zumal dort die Tarife deutlich günstiger werden sollen. Der Bürgerrat soll im August einbezogen werden – wenn dort keine Überraschungen mehr passieren, geht es nach der Sommerpause in die Ausschüsse. Danke für das Tempo und die Lösungsorientierung, liebe Stadtverwaltung. Das Bewohnerparken in der Nikolaivorstadt hatte der Stadtrat erst im April auf unseren Antrag hin einstimmig beschlossen.
Es folgen Beschlüsse
Bewohnerparken wird teurer
Dass der Bewohnerparkausweis künftig nicht mehr 30 sondern 120 Euro kostet, wurde bereits im Rahmen des Haushalts beschlossen. Natürlich ist das kein Gewinnerthema. Niemand mag Mehrkosten. Insofern ist es keine Überraschung, dass die AfD diesen Tagesordnungspunkt nutzt, um sich als Hüter von niedrigen Gebühren zu feiern. Das ist auch okay – wenn man die richtigen Argumente hat.
Das glückt dem Kollegen Jens Jäschke (AfD) nicht. Er greift in ein zu hohes Regal und zitiert den Gleichheitsgrundsatz aus dem Grundgesetz. Ebenso unpassend ist eine Studie, die er anführt. Aus dieser gehe hervor, dass Görlitz im Vergleich zu anderen Kommunen zu hohe Gebühren habe. Was Stadtrat Jäschke verschweigt: Die Studie stammt von der Deutschen Umwelthilfe. Darin werden Anwohnerparkausweis-Gebühren von mindestens 360 Euro pro Jahr gefordert.
Ich setze zwei Euro fünfzig, dass innerhalb der nächsten zwölf Monate fast alle Kommunen ihre Gebühren fürs Anwohnerparken anpassen. Und zwar deutlich nach oben. Diese Möglichkeit besteht erst seit kurzem, bis dahin war die Gebühr gesetzlich auf rund 30 Euro im Jahr begrenzt.
Der Beschluss geht durch. Nur AfD und der Freie Sachse sind dagegen. Ab 1.8. gelten die neuen Gebühren. Wer bis dahin seinen Parkausweis holt, zahlt noch den bisherigen Preis. Zwinker, zwinker, Zaunpfahl.
Parkgebühren an Strandpromenade auch im Winter
Künftig werden auch in der „Wintersaison“ am Berzdorfer See Parkgebühren erhoben. Allerdings nur die Hälfte vom Sommertarif, also 1 Euro für zwei Stunden, danach greift schon der Tagestarif mit drei Euro. Die Verwaltung hofft auf rund 12.000 Euro Mehreinnahmen. Die Parkautomaten am Berzdorfer See sind entgegen vieler Unkenrufe ein Erfolg. 2024 wurden knapp 130.000 Euro eingenommen.
Alkoholverbot Marienplatz
Vielen sind die Trinkerinnen und Trinker auf dem Marienplatz ein Dorn im Auge. Manche fühlen sich unsicher. Deshalb gibt es schon längere Zeit die Forderung, dort ein Alkoholverbot einzuführen. Das ist aber nicht so einfach möglich. Der Gesetzgeber will dafür handfeste Gründe. Die sind nun zusammengestellt worden und zeigen, dass es auf dem Marienplatz und An der Frauenkirche 2024 deutlich mehr alkoholbedingte Straftaten gab als im Rest der Stadt. Während im gesamten Stadtgebiet nur 6,7 % der Straftaten mit Alkohol zu tun hatten, lag der Anteil am Marienplatz bei 33 % und an der Frauenkirche bei 26 %. Die Stadt will mit einem Alkoholverbot verhindern, dass es dort weiter zu Gewalt, Störungen und Polizeieinsätzen kommt.
In der Diskussion zum Alkoholverbot am Marienplatz erklären Ordnungsamtsleiter Uwe Restetzki und OB Ursu, dass es sich um eine reine Konsumverbotszone handelt – wer Alkohol nur mitführt, macht sich nicht strafbar. Kontrolliert wird durch Polizei und Vollzugsdienst, besonders zu Beginn. Meine Kollegin Jana Krauß (Bündnisgrüne) äußert Skepsis: Wenn alkoholisierte Gruppen nur auf benachbarte Plätze verdrängt werden, erhöhe das nicht das Sicherheitsgefühl. OB Ursu erklärt, dass nicht alle Bedenken ausgeräumt werden können – das Verbot sei ein Test.
Die AfD fordert eine Ausweitung auf weitere Plätze wie den Wilhelmsplatz, die Elisabethstraße und auf Wunsch von Stadtrat Jakob Garten auch auf die Rabryka – gestützt auf das Polizeigesetz, das in der Nähe von Kinder- und Jugendeinrichtungen Alkoholverbote auch ohne akute Gefahrenlage erlaubt.
OB Ursu widerspricht: Es wurde alles intensiv geprüft, die gesetzlichen Möglichkeiten seien begrenzt, pauschale Verbotszonen rund um Schulen rechtlich kaum haltbar. Matthias Urban (CDU) baut dennoch der AfD eine Brücke und formuliert einen Änderungsantrag, wonach die Verwaltung prüfen soll, ob Plätze in der Nähe von Schulen und Jugendeinrichtungen in Zukunft in die Verordnung aufgenommen werden können – Bericht bis Herbst. Der Ergänzungsantrag wird mit 16:14 Stimmen bei drei Enthaltungen knapp angenommen. Für unsere Fraktion ist die Ergänzung absurd und praktisch nicht umsetzbar – deshalb lehnen wir den gesamten Beschluss ab. Der Stadtrat stimmt aber mit großer Mehrheit zu.
Einzelhandelskonzept mit Kaufhaus
Der Stadtrat hat das neue Einzelhandels- und Zentrenkonzept für Görlitz beschlossen. Damit sind die Weichen gestellt für konkrete Vorhaben: So kann in Hagenwerder wieder ein Nahversorger angesiedelt werden und auf der Lüders-Straße darf Lidl nach jahrelangem Streit seine Filiale deutlich erweitern. Der Kniff: Im neuen Konzept werden die Flächen des im Bau befindlichen Rewe im alten Werk 1 und des bestehenden Lidl-Marktes als ein gemeinsames Versorgungsgebiet betrachtet – dadurch ist die Erweiterung nun möglich.
Kurzfristig wurde ein weiterer Punkt in den Antrag eingefügt. Die sogenannte Nutzungsanalyse zum geplanten Warenhaus von Prof. Stöcker soll die Aussagen des Einzelhandelskonzepts untermauern. Das ist tatsächlich so. Problematisch ist dagegen der zweite Satz: „Der Stadtrat bestätigt damit ausdrücklich das öffentliche Interesse am Umbau des Kaufhauses in der geplanten Form und die Position der Stadt Görlitz im laufenden Dissensverfahren.“ Wir fordern, diesen Satz zu streichen und das Thema separat zu behandeln. Die Pläne zum Umbau des Warenhauses sind uns offiziell nicht bekannt, die Nutzungsanalyse darf nicht öffentlich diskutiert werden und im Stadtrat wurde das Thema nicht vorberaten. OB Ursu macht einen guten Kompromissvorschlag: Der Stadtrat betont nun lediglich allgemein das öffentliche Interesse am Warenhaus und seine Bedeutung für die Innenstadt – dem können wir uns anschließen.
Ich persönlich glaube tatsächlich an die Zugkraft dieses Warenhauses für die Innenstadt. Es darf allerdings keine Mauscheleien geben. Gleiches (Planungs-)Recht für alle. Unabhängig von der Größe des Projektes und des Kontostands.
Energiezentrum Hagenwerder
Auf dem ehemaligen Kraftwerksgelände in Hagenwerder soll auf rund 45 Hektar landwirtschaftlicher Fläche eine große Solaranlage mit Batteriespeicher entstehen – geplant und beantragt von der Firma East Energy aus Rostock. Der erzeugte Strom soll nicht nur ins Netz eingespeist, sondern auch für Wasserstoffproduktion in Görlitz genutzt werden, wovon zum Beispiel die Görlitzer Verkehrsbetriebe und Stadtwerke profitieren könnten. Der Standort ist besonders geeignet, weil er direkt neben einem Umspannwerk liegt. Die Öffentlichkeit wurde bereits früh eingebunden, außerdem stimmte der Ortschaftsrat Hagenwerder/Tauchritz dem Vorhaben zu. Auch im weiteren Verfahren wird es noch Beteiligungsmöglichkeiten geben – zum Beispiel zur Umweltverträglichkeit, zur Erschließung oder zur Gestaltung der Fläche.
In der Debatte zum Solarprojekt in Hagenwerder-Tauchritz fordert die AfD eine geheime Abstimmung – der Stadtrat lehnt das ab, da es dafür keinen nachvollziehbaren Grund gibt; demokratische Entscheidungen sollen grundsätzlich öffentlich sein. Stadtrat Götze (AfD) stellt Bodenwerte in Frage und malt das Bild von einer drohenden Nahrungsmittelknappheit, weil angeblich gute Ackerflächen mit Solaranlagen überbaut würden. Doch das stimmt so nicht: Auf der Fläche wurden seit Jahren keine Lebensmittel angebaut, sondern vor allem Energie- und Futterpflanzen. Die Bodenqualität ist überwiegend mäßig.
Wichtig: Mit dem jetzigen Aufstellungsbeschluss wird lediglich das Verfahren gestartet – alle kritischen Punkte werden im weiteren Verlauf ausführlich geprüft. Es reicht nicht, sich wie AfD-Stadtrat-Götze auf ein Feld zu stellen, die Höhe der Ähren zu messen und Fotos im Ratssaal zu verteilen. Auch wenn der Elan bemerkenswert ist, mit dem hier ein Energieprojekt verhindert werden soll. (Was mich zur Frage führt: Wer sind eigentlich die Ideologen?)
Der Beschluss wird mit 19 zu 15 gefasst. Damit kann ein B-Plan aufgestellt werden. Bemerkenswert: Neben AfD und Freiem Sachsen stimmt Ortsvorsteher Andreas Zimmermann (CDU) mit Nein und damit auch gegen das Votum seines Ortschaftsrates Hagenwerder/Tauchritz.
ÖPNV-Fusion mit Bauchschmerzen
Der Zweckverband Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien (ZVON) fusioniert mit dem Zweckverband Verkehrsverbund Oberelbe (ZVOE). Das ist zum Zeitpunkt unserer Sitzung bereits sicher. Die Stadt Görlitz hat drei große Bedenken: Erstens gibt es rechtliche Probleme, weil unklar ist, ob nach der Fusion die Städte und Gemeinden weiterhin selbstständig über den Nahverkehr in ihrer Region entscheiden können. Zweitens könnte es passieren, dass Geld, das bisher für den ländlichen Raum vorgesehen ist, in größere Städte umgeleitet wird und dadurch das Angebot in Görlitz und Umgebung schlechter wird. Drittens befürchtet Görlitz, dass regionale Tarife und besondere Angebote, vor allem grenzüberschreitend nach Polen, verloren gehen und Fahrten dadurch teurer werden könnten.
Es folgt ein politischer Beschluss, eine große Mehrheit lehnt die Fusion ab, die Linke ist dafür, unsere Fraktion enthält sich. Hoffen wir, dass sich die Görlitzer Bedenken nicht bewahrheiten.
Große Investitionen des GHT
Das Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz/Zittau plant drei große Investitionen. Das Theater am Demianiplatz soll nach einem großen Wasserschaden komplett saniert und modernisiert werden. Außerdem möchte das GHT das Apollo auf der Hospitalstraße als neues Theaterzentrum umbauen, mit modernen Probenräumen, Wohnungen für Künstler und einer besseren Barrierefreiheit. Der alte Güterbahnhof wiederum soll zunächst als Ersatzspielstätte dienen und später dauerhaft für Theater- und Orchesterproben genutzt werden. Wir kennen den Ort von der Malfi-Aufführung 2023.
Für die Stadt Görlitz entstehen durch diese Projekte keine zusätzlichen Kosten, weil alle Maßnahmen nach gegenwärtigen Planungen mit Fördermitteln bezahlt werden. Den Eigenanteil stemmt das GHT aus eigenen Ressourcen. Geplante Gesamtinvestitionen: 65 Millionen Euro. Nach Görlitz müssen auch die beiden anderen Gesellschafter (Landkreis und Stadt Zittau) noch zustimmen.
Fazit zur Sommerpause
Es bewegt sich einiges in Görlitz. Kritik ist an vielen Stellen richtig und bringt auch etwas, wenn sie zielorientiert ist. Das Bewohnerparken in der Nikolaivorstadt ist dafür das beste Beispiel.
Bleibt gesund und genießt den Sommer. Ende August setzt der Stadtrat seine Arbeit fort.
Wenn ihr Anregungen habt, mit uns unzufrieden seid oder gar die Ansicht vertretet, dass in Deutschland zu wenig gelobt wird, dann meldet euch bei uns.
Text und Foto: Mike Altmann