Subjektiver Bericht aus dem Stadtrat vom 16. April 2025
Ein Mittwoch mit Marktgesprächen, Misstönen und dem Versuch, Wind aus den Segeln zu nehmen
Die Sitzung des Stadtrates findet diesmal ausnahmsweise an einem Mittwoch statt – der Karfreitag zwei Tage später macht es möglich. Trotz Vorosterzeit bleibt es nicht durchweg friedlich.
Haushaltslage, Straßenbahnen und Arkaden-Gemüse
Zu Beginn informiert Oberbürgermeister Octavian Ursu über aktuelle Entwicklungen. Die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst – konkret 2,7 Prozent im Jahr 2025 und 3 Prozent im Jahr 2026 – seien im Haushaltsplan bereits berücksichtigt. Hinsichtlich der Insolvenz des Straßenbahnherstellers Heiterblick äußert er die Hoffnung, dass eine Sanierung gelingt. Für Görlitz ist dies relevant, da die dort bestellten Niederflurbahnen wie geplant ausgeliefert werden sollen.
Ein weiteres Thema sind Verkaufsstände für Obst, Gemüse und Späti-Waren unter den Arkaden des Untermarkts. Nach öffentlicher Empörung, aufgeregten Medienberichten und einer Prüfung durch den Oberbürgermeister wurden die Stände nach zwei Tagen abgebaut. Laut OB könne nicht einfach beliebig „im Görlitzer Wohnzimmer“ verkauft werden. Er kündigt eine stadtbildprägende Gestaltungssatzung an. Im Vergleich zum Untermarkt geht es im neuen Gemüseladen gegenüber der Jägerkaserne korrekt zu. Hier wurde die genutzte Außenfläche nachjustiert und erfüllt nun die geltenden Anforderungen. (Zu diesem Thema haben wir folgende Idee.)
Fortschritte beim Brückenpark und neue Personalien
Bürgermeister Benedikt Hummel berichtet erfreut über den bevorstehenden Zuwendungsbescheid für Interreg-Mittel. Damit kann die zweite Bauphase im Brückenpark entlang der Neiße umgesetzt werden. Das Projekt, das seit 2015 gemeinsam mit der polnischen Nachbarstadt Zgorzelec vorangetrieben wird, soll zwischen Obermühle und Weinberg in Richtung Süden erweitert werden.
Aus der vorangegangenen nichtöffentlichen Sitzung gibt es ebenfalls Neuigkeiten: Markus Zipa wird zum 2. Mai neuer Amtsleiter für Bau und Liegenschaften der Stadt Görlitz. Er folgt auf Torsten Tschage, der vor einigen Monaten überraschend ausgeschieden war. Eine erste Besetzungsrunde scheiterte, weil der ursprünglich ausgewählte Bewerber die Stelle aus familiären Gründen nicht angetreten hatte.
Fragestunde für Einwohner
Eine Bürgerin aus Ludwigsdorf äußert Sorgen wegen des geplanten Re-Powerings von Windkraftanlagen in ihrer Nähe. Dabei sollen bestehende Windräder durch leistungsstärkere ersetzt werden. Die Rednerin betont mehrfach, Ärztin zu sein, nennt jedoch keine fachliche Spezialisierung. In ihrer Wortmeldung verweist sie auf befürchtete Auswirkungen auf Gesundheit, Tierwelt und Landschaft – darunter Lärm, Schattenwurf und Waldverluste. Bürgermeister Hummel erklärt, dass Genehmigungen in diesem Fall nicht durch die Stadt, sondern durch das Landratsamt erteilt werden. Für die Öffentlichkeitsarbeit sei der jeweilige Investor verantwortlich. Aus meiner Sicht wäre es klug, wenn die investierende Firma nicht nur das gesetzlich vorgeschriebene Maß an Information erfüllt, sondern sich offensiv der Öffentlichkeit stellt.
Fragestunde für Stadträte
Die anschließende Fragestunde für Stadträtinnen und Stadträte beginnt mit einem Hinweis von Yvonne Reich (Bürger für Görlitz) auf unzureichende öffentliche Toiletten in der Innenstadt. Besonders der Wegfall der Anlage am „Scharfen Eck“ sei bedauerlich. Das Rathaus antwortet, dass es Gespräche mit der Europastadt GörlitzZgorzelec GmbH gibt, derzeit jedoch noch keine konkreten Ergebnisse vorliegen.
Mehrere Fragen drehen sich um den Gemüseverkauf auf dem Untermarkt. Sebastian Wippel (AfD) will wissen, ob es sich bei den Laubengängen am Braunen Hirsch um öffentlich zugängliche oder private Flächen handelt. Die Verwaltung stellt klar, dass sämtliche Arkaden auf dem Untermarkt privaten Eigentümern gehören. Eine Sondernutzungsgenehmigung ist deshalb nicht erforderlich – wohl aber müssen Bauordnung und Denkmalschutz beachtet werden. Meine Fraktionskollegin Dr. Jana Krauß erkundigt sich nach den sachlichen Gründen für das Einschreiten der Stadt gegen den Gemüsehandel. Oberbürgermeister Ursu verweist auf die Notwendigkeit, an einem der repräsentativsten Orte der Stadt für ein geordnetes Erscheinungsbild zu sorgen. Nach Gesprächen mit dem Eigentümer wurden die Verkaufsstände entfernt. Nähere Einzelheiten können in der Öffentlichkeit nicht bekanntgegeben werden.
Peter Stahn (AfD) kritisiert, dass die „Lange Nacht der Bibliotheken“ aus seiner Sicht unzureichend beworben wurde. Der OB zeigte sich überrascht über diese Wahrnehmung. In der Tat gab es im Vorfeld mehrere Hinweise in Online-Medien und sozialen Netzwerken.
Mir geht es um die Neugestaltung des Elisabethplatzes – die ich für sehr gelungen halte In Gesprächen mit Händlern wurde allerdings der Wunsch geäußert, samstags auch auf der Nordseite des Platzes Parkplätze vorrangig für Händler bereitzustellen – nur auf der Südseite können sie direkt aufs Gelände fahren. Die Verwaltung bittet darum, zunächst die weiteren Erfahrungen abzuwarten. Nach Ostern soll ein Gespräch mit der Marktgilde stattfinden. Händler sind gut beraten, ihre Hinweise gebündelt weiterzugeben.
Auch Jens Jäschke (AfD) thematisiert den Elisabethplatz. Aus seiner Sicht erschwert das derzeitige Konzept den sicheren Aufbau von Marktständen. Die Verwaltung zeigt sich zuversichtlich, dass praktikable Lösungen gefunden werden.
Gerald Rosal (AfD) schildert anhaltende Ruhestörungen in der Sattigstraße. Die Verwaltung bestätigt, dass das Problem bekannt sei und man mit wechselnden Gruppen und unterschiedlichen Tageszeiten konfrontiert sei. Der Präventionsrat habe bereits Akteure der freien Jugendhilfe eingebunden. Ein dauerhafter Einsatz von Jugendsozialarbeit sei jedoch nicht möglich. Wie immer gilt: Wenn gegen Recht und Ordnung verstoßen wird, ist die Polizei zu verständigen.
Bericht zur Arbeit der EGZ
In der Sitzung stellt Eva Wittig von der Europastadt GörlitzZgorzelec GmbH (EGZ) die aktuelle Arbeit der Wirtschaftsförderung vor. Besonders erfreulich ist die Etablierung der sogenannten Vergabekonferenz, an der bis zu 50 Unternehmen teilnehmen. Ziel ist es, lokale Betriebe frühzeitig über geplante Investitionen der Stadt zu informieren. Die Konferenz wurde nach dem Vorbild aus Zittau eingeführt – ich freue mich, dass mein Hinweis vor einigen Jahren im Stadtrat erfolgreich war und nun Früchte trägt.
Geld zur direkten Förderung der Wirtschaft hat die EGZ nicht zur Verfügung. Aber: Kleinere Betriebe konnten zuletzt durch EFRE-Fördermittel in neue Technik investieren – etwa der Orthopädieschuhmacherbetrieb Preuß, Augustadruck oder die Hoesol Otoplastik GmbH. Die EGZ wirkt außerdem bei Netzwerkveranstaltungen mit, wie bei den Innenstadthändlern – daraus entstand mit „Hereinspaziert“ ein erfolgreiches Einkaufs-Format für die City.
Weitere Tätigkeitsfelder sind die Begleitung von Ansiedlungen – wie jüngst die Firma MediaKom auf der Berliner Straße mit bis zu 190 geplanten Arbeitsplätzen –, die Entwicklung Görlitz’ als Filmstandort, die Vermarktung der wenigen verfügbaren Gewerbeflächen und die Unterstützung der Unternehmen bei der Besetzung ihrer Stellen. Dabei spielen internationale Fachkräfte eine immer größere Rolle. Antworten auf diese neuen Herausforderungen finden sich ebenfalls im Zusammenwirken verschiedener Akteure, wie bei „GR grenzenlos vernetzt“.
Anschließende Fragen aus den Reihen der Stadträte. Mich triggert Jens Jäschke (AfD), der fragend fordert, ob sich die EGZ nicht um eine „interessante Händlerlandschaft“ auf der oberen Berliner Straße kümmern müsse. Jäschke meint, die vielen orientalischen Barbershops und Imbissanbieter hätten „nur wenig mit dem Charakter der ehemaligen Prachtstraße von Görlitz zu tun“. Ich lasse mich zu Polemik hinreißen und werfe ihm eine sozialistische Sicht auf die Wirtschaft vor. Wer mehr deutsche Angebote auf der Berliner haben will, soll das selbst in Angriff nehmen und nicht nach der Wirtschaftsförderung rufen. Das wiederum triggert die AfD. Es gehen einige Rufe durch den Saal. In der Sitzungspause werte ich den Vorfall u.a. mit AfD-Stadtrat Wippel aus, höre mir die Argumente an. Die AfD kritisiert meinen Angriff, weil nach solchen Vorträgen nur Fragen gestellt aber keine interfraktionellen Diskussionen angefangen werden sollen – diese Perspektive kann ich nachvollziehen. Kritik kann man als pfiffiger Stadtrat auch in Frageform gießen.
Ich danke Eva Wittig für ihre Arbeit. Besonders die Bestandspflege halte ich für wichtig. Der Großteil wirtschaftlichen Wachstums erfolgt durch Weiterentwicklung bestehender Betriebe. Auf meine Nachfrage, was wir als Kommune tun können, um Ansiedlungen wie das Deutsche Zentrum für Astrophysik erfolgreich zu begleiten, antwortet Wittig sinngemäß: Es müsse alles dafür getan werden, dass sich Fachkräfte und ihre Familien in Görlitz wohlfühlen – infrastrukturell, kulturell und atmosphärisch.
Beschlüsse
Jahresabschluss Städtischer Friedhof
Bebauungspläne: Detailkorrektur und Erweiterung
Zwei Bebauungspläne stehen in dieser Sitzung zur Abstimmung.
Zunächst geht es um eine Änderung am Bebauungsplan „Rewe im Waggonbau Werk 1“. Inhaltlich handelt es sich um eine rein redaktionelle Korrektur. Bei der ursprünglichen Beschlussfassung wurden die Nummerierungen von zwei Anlagen vertauscht. Diese formale Unstimmigkeit hatte zur Folge, dass der Bebauungsplan so nicht umgesetzt werden konnte. Ein klassischer Fall von „Deutschland pur“: Ein Hinweis auf eine falsch nummerierte Anlage in einem Beschluss vom 24.9.2024 reicht aus, um das Investitionsvorhaben für mehr als ein halbes Jahr anzuhalten. Der Stadtrat muss die gesamte Sache nun nochmals beschließen – was einstimmig geschieht.
Beim zweiten Planvorhaben geht es um die Erweiterung des bestehenden Netto-Marktes an der Promenadenstraße im Stadtteil Biesnitz. Der Markt soll von aktuell rund 800 auf künftig 1.000 Quadratmeter wachsen. Ein Backshop mit einer Verkaufsfläche von bis zu 50 Quadratmetern wird außerhalb des Marktes stehen. Netto will zügig mit der Umsetzung beginnen.
Eine zusätzliche Verkehrsbelastung durch mehr Kundschaft wird von der Stadt nicht erwartet. Deshalb wurde auch keine neue Querungshilfe auf der Promenadenstraße eingefordert. Die Parkplätze werden etwas reduziert. Dafür entstehen zehn Fahrradstellplätze in Form von Bügelform. Es wird auch Ladesäulen für Elektrofahrzeuge geben. Der Stadtrat stimmt dem Bebauungsplan einstimmig zu.
Vergabe der Wohnungslosenhilfe: Hitzige Diskussion
Ein weiterer Tagesordnungspunkt ist die Ausschreibung der künftigen Betreibung der Wohnungslosenhilfe in Görlitz. Aktuell macht das die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Die Stadt Görlitz stellt dafür zwei Immobilien zur Verfügung: die Krischelstraße 8 in der Innenstadt sowie die Rothenburger Straße 32a im Norden der Stadt. Beide Objekte sollen auch weiterhin genutzt werden.
Der Beschlussvorschlag war ausführlich beraten worden. Dennoch versucht die AfD-Fraktion in der Sitzung, eine kurzfristige Änderung durchzusetzen. Fraktionsvorsitzender Sebastian Wippel beantragt, den Standort Krischelstraße aus der Vorlage zu streichen. Zur Begründung führt er an, es gebe Beschwerden von Anwohnern. Die Altstadt sei das Wohnzimmer der Stadt – da müsse man überlegen, ob man genau dort Wohnungslose unterbringen möchte.
Im Raum steht der Verdacht, dass die „Anwohnerbeschwerden“, auf die sich die AfD beruft, direkt aus der eigenen Fraktion stammen. Schließlich wohnt ein Fraktionsmitglied direkt neben dem Objekt der Wohnungslosenhilfe.
Die Verwaltung macht deutlich, dass sämtliche Standorte vorab fachlich geprüft worden seien und keine neuen Aspekte vorlägen, die eine Änderung notwendig machen würden.
Im weiteren Verlauf entspinnt sich eine heftige Auseinandersetzung. CDU-Stadtrat Matthias Schöneich wirft der AfD vor, mit ihrer Argumentation einer sozialen Ghettoisierung Vorschub zu leisten. Daraufhin kontert Wippel mit einer persönlichen Bemerkung über Schöneichs angebliche Medikation – eine Entgleisung, die deutlich unter die Gürtellinie geht. Die AfD-Fraktion steht mit letztlich allein. Ihr Änderungsantrag fällt durch.
Der ursprüngliche Beschlussvorschlag zur Ausschreibung der Wohnungslosenhilfe an den bestehenden Standorten wird mehrheitlich angenommen.
Wahl des neuen Beirats „Teilhabe und Senioren“
In der Sitzung wird auch der neue Beirat „Teilhabe und Senioren“ gewählt. Dieser verbindet künftig den bisherigen Seniorenbeirat und den Behindertenbeirat. Insgesamt sind sechs Stadtratsmitglieder und acht sachkundige Einwohner zu wählen. Für Letztere sind neun Personen von den Fraktionen vorgeschlagen worden, was bis zu sechzehn Einzelwahlgänge bedeutet. Um dieses aufwendige Verfahren zu vermeiden, zieht die Fraktion Bürger für Görlitz eine Kandidatin zurück. Dadurch können die Wahlen zügig und einvernehmlich durchgeführt werden. Ein Dank dafür ans Team BfG – das hat deutlich Zeit gespart.
Bewohnerparken in der Nikolaivorstadt
Unsere Fraktion (Motor Görlitz/Bündnisgrüne/SPD) hat einen Antrag zur Einführung von Bewohnerparken in der Nikolaivorstadt eingebracht. In diesem Stadtteil konkurrieren Anwohner mit Berufspendlern und Besuchern der Altstadt um sehr wenige Stellflächen. Die temporäre Sperrung des Parkplatzes am ehemaligen Jobcenter hat die Situation zuletzt weiter verschärft.
Der Stadtrat kann über Verkehrsmaßnahmen keine Entscheidungen treffen. Politische Willensbekundungen geben allerdings dem Rathaus Rückenwind – im konkreten Fall möchte Bürgermeister Benedikt Hummel einen zweijährigen Testlauf für das Bewohnerparken wohlwollend prüfen. Bisher hatte die Verwaltung argumentiert, dass Bewohnerparken nicht möglich sei, da es mehr zugelassene Fahrzeuge als Stellplätze gebe. Wir vertreten hingegen die Position, dass genau das der Anlass sein sollte, Lösungen für die Bewohner zu erproben.
Der Antrag wird einstimmig bei nur zwei Enthaltungen angenommen. Damit ist ein erster Schritt getan – weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Parksituation in der historischen Altstadt und Nikolaivorstadt sollen im Zuge des aktualisierten Verkehrskonzeptes folgen. (Ein Extra-Beitrag zu diesem Thema ist hier zu finden.)
Fazit: Zusammenarbeit bleibt möglich
Damit geht eine intensive Sitzung zu Ende. Der Beschluss zum Bewohnerparken zeigt: Eine vernünftige Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen und der Verwaltung ist möglich und notwendig – auch dann, wenn die Perspektiven unterschiedlich sind. Das ist doch eine gute Osterbotschaft.
Wenn ihr Anregungen habt, mit uns unzufrieden seid oder gar die Ansicht vertretet, dass in Deutschland zu wenig gelobt wird, dann meldet euch bei uns.
Text und Foto: Mike Altmann (Text mit KI-Unterstützung)