Subjektiv gefärbter Bericht aus dem Stadtrat vom 8.8.2024
Auch die schönste Sommerpause geht mal vorbei. Stimmungsvolle EM-Stadien, Italien, der Comer See, Menaggio und Belaggio – werden nun eingetauscht gegen den tristen Sitzungssaal, der weiter auf einen frischen Anstrich wartet.
Der Stadtrat trifft sich zum ersten Mal nach der Wahl vom 9. Juni. An den Mehrheitsverhältnissen hat sich nicht viel verändert. Die AfD hat nun 14 Sitze (+1). CDU ist ebenfalls um einen Sitz gewachsen und hat 10 Leute. Bürger für Görlitz wurden gerupft, minus 2 und sind somit nur noch zu fünft. Viertstärkste Kraft wurde Motor mit drei Sitzen. Es folgen Bündnisgrüne und Linke mit jeweils zwei Sitzen, die SPD mit einem Mandat. Ebenso wie die Freien Sachsen, die dem Vernehmen nach noch weiter rechtsaußen stehen wollen als die Blauen.
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Um arbeitsfähig zu sein, braucht man als Fraktion eine gewisse Mindestgröße im Stadtrat. Schließlich sind Ausschüsse und andere Gremien zu besetzen. Es gibt viele Termine außerhalb der normalen Sitzungen. Natürlich ist es auch von Vorteil, man kann Vorbereitungen auf komplexe Themen auf verschiedene Schultern verteilen. Insofern ist es ein völlig normaler Vorgang, dass sich aus mehreren kleinen Gruppen eine Fraktion bildet – wenn man sich über die generellen Werte und Themen einig ist.
Bereits in der letzten Stadtratsperiode gab es die Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne, bestehend aus Jana Krauß und Kristina Seifert von den Bündnisgrünen und Danilo Kuscher, Andreas Kolley und mir von Motor. Wir sind alle mit guten Ergebnissen wiedergewählt worden. Unser Fünferbündnis hat Silvio Minner von der SPD hinzugewonnen. Er bringt Verwaltungserfahrung ein, kennt sich gut auf dem regionalen Arbeitsmarkt aus und ist ehrenamtlich im Sport aktiv. Menschlich passt er ebenfalls. Damit ist die neue Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne/SPD die drittgrößte im Stadtrat.
Zurück in den Ratssaal. Bereits in der ersten Sitzung spielt die Größe der Fraktionen eine Rolle bei der Besetzung der Gremien. Damit sich die Mehrheitsverhältnisse aus dem Stadtrat auch in Ausschüssen spiegeln. Jetzt wird’s bisschen nerdig – Freunde des Wahlrechts und der Mathematik kommen auf ihre Kosten. Denn es nicht ganz simpel, welche Fraktion wie viele Sitze erhält. Es gibt drei Auszählsysteme, wovon zwei für die Diskussion im Stadtrat relevant sind. D`Hondt wurde in Görlitz und Sachsen ewig genutzt. Es hat den Nachteil, dass es die größte Fraktion zusätzlich stärkt und die kleinen hinten runterfallen. Das System nach Saint Laguë/Schepers ist schwer auszusprechen, wird aber mittlerweile bevorzugt, weil es die Verzerrungen zugunsten der Großen dort nicht gibt. Auch die Kommunalwahlen in Sachsen werden nach diesem System ausgezählt. Dennoch schlägt uns die Stadtverwaltung vor, nach d’Hondt zu verfahren. Begründung lautet in etwa: Haben wir schon immer so gemacht.
Wir rechnen im Vorfeld die Systeme nach und erkennen schnell, was das für die beiden wichtigsten Ausschüsse (Verwaltungsausschuss und Technischer Ausschuss mit je zwölf Sitzen) bedeutet: Bei d’Hondt gewinnt die größte Fraktion – in diesem Fall die AfD – fünf Sitze, bei Saint Laguë/Schepers nur vier. Bei d’Hondt ist die Linke raus aus den beschließenden Ausschüssen. Bei Saint Laguë/Schepers nicht. Wir finden, dass Saint Laguë/Schepers gerechter ist und es immer zu den demokratischen Gepflogenheiten im Stadtrat gehörte, auch kleine Fraktionen zu beteiligen. Das ist unser „Haben wir schon immer so gemacht“-Argument.
Die Fraktionen von AfD und CDU begründen fast gleichlautend, warum sie d’Hondt besser finden: Sie kritisieren unterschwellig, dass sich unsere Sechserfraktion aus drei Parteien/Vereinen zusammensetzt. Und das wäre ja schon eine Verzerrung des Wählerwillens, wie uns Sebastian Wippel erläutert. Das ist mit Blick auf die Sächsische Gemeindeordnung abwegig. Sie erläutert klar, dass die Größe der Fraktionen sich widerspiegeln soll. Nicht die Wahlergebnisse einzelner Parteien. Das ist auch konsequent, da es sich auf kommunaler Ebene um Personenwahlen handelt.
CDU-Stadtrat Matthias Urban stößt ins gleiche Horn wie Wippel und eröffnet uns, dass es eine gemeinsame Liste mit den Bürgern für Görlitz gibt. Weil sonst die BfG benachteiligt würden bei bestimmten Gremien – auch hier gibt es den Verweis auf unsere Zusammensetzung aus drei Partnern. Die Fraktion der BfG selbst äußert sich gar nicht. Die Stille kennen wir. Nachdem es direkt nach der Wahl noch Gesprächsangebote in unsere Richtung gab und den Hinweis, dass wir uns ob des Wahlergebnisses noch besser abstimmen müssten, folgte in den langen Ferien – trotz einiger Nachfragen von uns – nichts. Wie wir seit Donnerstag wissen, wurde die Zeit anderweitig genutzt.
Die Abstimmung ist am Ende eindeutig. AfD, CDU, Bürger für Görlitz und Freie Sachsen stimmen gegen unseren Vorschlag und für d’Hondt. Die AfD bekommt somit fünf von zwölf Sitzen in den beschließenden Ausschüssen. Die Zählgemeinschaft CDU/BfG ebenfalls fünf. Unsere Fraktion besetzt die beiden übrigen Plätze. Da wir es weiterhin für demokratisch geboten halten, die kleinen Fraktionen (die man ab zwei Mitgliedern bilden darf in Sachsen) nicht komplett auszuschließen, nehmen wir Mirko Schultze und Jana Lübeck von den Linken auf jeweils einen Stellvertreterposten auf unsere Listen auf. So können sie bei Themen, die ihnen besonders wichtig sind, regulär teilnehmen und abstimmen, indem sie eine Person aus unserer Fraktion vertreten. Hintergrund: Man darf als Stadtrat an allen Ausschusssitzungen teilnehmen. Bleibt aber Gast und muss zum Beispiel um Erlaubnis fragen, wenn man sich an der Diskussion beteiligen will. Mit abstimmen darf man als Gast nicht.
Die Besetzung der beschließenden Ausschüsse werden im Anschluss offen abgestimmt. Es braucht keine geheime Wahl, da es exakt so viele Vorschläge wie Sitze gibt. Auch bei den kleineren beratenden Ausschüssen ist das der Fall. Sie bestehen aus fünf Stadträten. Je zwei Sitze bekommen AfD und die Zählgemeinschaft CDU/BfG, ein Sitz geht an unsere Fraktion.
Geheim gewählt wird beim Betriebsausschuss für den Friedhof. Da gibt es nur vier Sitze, aber fünf Vorschläge. Da bei der AfD ein Stadtrat fehlt, bekommen die Blauen nur einen Sitz, zwei gehen an CDU/BfG und wir erhalten das vierte Mandat, da uns die Linken mit ihren zwei Stimmen helfen. Sonst hätten AfD und CDU/BfG das Gremium unter sich aufteilen können. Angeblich sei das der Wählerwille.
Ich arbeite im neuen Stadtrat weiterhin im Technischen Ausschuss und im Sportausschuss. Letzter liegt mir besonders am Herzen, da der Sport bisweilen ein Nischendasein führt.
Es gibt noch einen Beschluss, der mich freut: Michael Prochnow wird im Jakob-Böhme-Jahr anlässlich der deutsch-polnischen Stadtratssitzung am 10. September 2024 mit der Europastadtmedaille geehrt. Dem guten Vorschlag der CDU folgt der Stadtrat einstimmig. Aus der Begründung: „Der Görlitzer Verleger und Stadtführer Michael Prochnow, zugleich vielfach engagiert im öffentlichen Leben der Stadt, befasst sich seit vielen Jahren umfassend und intensiv sowie ehrenamtlich mit dem Görlitzer Theosophen und Mystiker Jakob Böhme. Dieses außerordentlich zeitaufwendige und anspruchsvolle Engagement um die Person Jakob Böhme – den bedeutenden Sohn der Europastadt Görlitz/Zgorzelec – unserer Gesellschaft näherzubringen, bedarf einer besonderen Würdigung.“
Damit ist die Geschichte der konstituierenden Sitzung eigentlich erzählt. Es fehlt noch ein bisschen was Atmosphärisches. Schließlich fragte die Sächsische Zeitung am Tag der Stadtratssitzung, ob es Brandmauern brauche und wie man es mit der AfD im Stadtrat hält.
Ich meine dazu, dass unser Leben nicht schwarz-weiß ist. Und ein Stadtrat kein Ort für Bundes- oder Weltpolitik. Die erste Sitzung liefert ein gutes Beispiel. Wir beschließen den Sitzungskalender. Der AfD fällt auf, dass an zwei geplanten Terminen des Technischen Ausschusses der Kreistag stattfindet. Es wird beantragt, den Ausschuss jeweils um einen Tag zu verschieben. Soll man das ablehnen, weil es von der AfD kommt? Das wäre lächerlich. Der OB verhindert in diesem Fall eine Abstimmung über den Änderungsantrag, indem er ihn übernimmt.
Für mich gehört es übrigens zu einer vernünftigen Zusammenarbeit, dass man zu Beginn einer neuen Stadtratsperiode alle Gewählten begrüßt. Auch diejenigen, deren Meinung man nicht teilt. Genau das habe ich gemacht, wie schon 2019. Das hat etwas mit Umgangsformen zu tun.
In der Auseinandersetzung mit der AfD geht es weniger um Symbolik als um konkretes Tun. Bereits in der ersten Sitzung konnte man eindeutig sehen, wer eine Stärkung der AfD in Gremien verhindern wollte. Ich wünsche mir sehr, dass ihr uns Stadträte an unseren Taten messt, nicht an Lippenbekenntnissen.
Wenn ihr Anregungen habt, mit uns unzufrieden seid oder gar die Ansicht vertretet, dass in Deutschland zu wenig gelobt wird, dann meldet euch bei uns.
Text: Mike Altmann
Foto: Paul Glaser