Subjektiv gefärbter Bericht aus dem Stadtrat vom 30.11.2023
Es vorweihnachtet sehr auf dem Weg zum Rathaus. Zwar riechts noch nicht nach Langos auf dem Untermarkt, aber die Hütten stehen. Die festliche Beleuchtung ist installiert. Händlerinnen wärmen sich vorfreudig an der Zentralheizung auf, bevor es am 1. Dezember los geht. Vielleicht sehen wir uns bei weißem Glühwein am Flübostand. Ab 50 wechselt man die Tränke nicht mehr.
Im Ratssaal beginnt Oberbürgermeister Ursu mit Informationen für die Öffentlichkeit. Kaum der Rede wert ist für ihn das Schreiben des Landratsamtes, mit dem unser Haushalt genehmigt wurde. Die Genehmigung gab es nur unter Auflagen. Bis Ende Februar sollen wir ein sogenanntes Haushalts-Struktur-Konzept erarbeiten. Das ist neues Deutsch für Gürtel enger schnallen. Wir fordern seit vier Jahren ein Personalkonzept und erste Überlegungen, wo wir möglicherweise Geld einsparen können oder auch mehr einnehmen. Kein Bedarf, weder bei den großen Fraktionen AfD, CDU und BfG, noch beim Oberbürgermeister. Wie schlecht das Rathaus personell aufgestellt ist, soll sich im Sitzungsverlauf noch zeigen.
Octavian Ursu scheint die Dramatik der Finanzen weglächeln zu wollen. Er deutet an, dass wir uns Anfang 2024 damit beschäftigen. Vielleicht sehen die Zahlen dann schon besser aus, meint er. Vielleicht kommt im Görlitzer Tierpark auch ein Einhorn zur Welt.
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Fragestunde für Stadträte
Karsten Günther-Töpert von den Bürgern für Görlitz erkundigt sich zum Stand bei der Jahnhalle. Den dritten Herbst in Folge musste die Halle gesperrt werden. Das Dach ist undicht, es gibt aber keine schnelle Lösung. Man weiß nicht, wo es einregnet. Das Wasser wandert und sucht sich seine Stellen, wo es aufs Parkett tropft. Mehr sagen als wir bereits beschlossen haben, kann Bürgermeister Benedikt Hummel nicht. Das Geld für eine Dachsanierung ist eingeplant, 2024 soll es mit Planungen losgehen. Investiert wird aber nach meinen Haushaltsunterlagen erst 2025. Dann soll gleich das Parkett neu gemacht werden.
Meine Fraktionskollegin Jana Krauß von den Bündnisgrünen gibt eine Frage weiter, die von Markthändlern kam: Seitdem gebaut wird auf dem Elisabethplatz, sind die Händler nach unten gezogen. Die Gastrostände stehen derweil auf dem Marienplatz. Es gibt Stimmen, die das vor allem in den Wintermonaten nicht gut finden. Es kommen wohl deutlich weniger Kunden auf den unteren Teil des Elisabethplatzes. Bürgermeister Hummel bestätigt, dass es Gespräche gibt und die Alternative Marienplatz geprüft wird. Zumindest für die kalten Monate eine Überlegung wert. Im Sommer ist es für Obst und Gemüse sicher zu sonnig und heiß.
Gabi Kretschmer von der CDU sorgt sich wegen des jüngsten Verkehrsunfalls vor dem Curie-Gymnasium um die Sicherheit. Schrittgeschwindigkeit wäre ein Ziel für sie. Generell wünscht sie sich Veränderungen, vor allem jetzt, wo durch Baustellen auch noch Einbahnstraßenregelungen außer Kraft sind. Bürgermeister Hummel verkündet, dass ein Zusatzschild angebracht wurde. „Achtung Schule!“ Unser OB ist der Auffassung, dass es schon immer Schrittgeschwindigkeit vor der Schule gibt. Wie sehr man sich täuschen kann.
Torsten Ahrens von den Linken möchte wissen, ob sich die Leitung des Klinikums und das ausgegliederte Medizinische Labor geeinigt haben. Die Labormitarbeiter wollen zurück ins Klinikum und so vergütet werden, wie die Kollegen. Der OB erklärt, dass es ein Angebot der Geschäftsführerin an den Betriebsrat gibt. Torsten Ahrens möchte im Januar die Frage im Stadtrat besprechen.
Ich erkundige mich zur Baustelle Jakobstraße. Warum musste diese Maßnahme kurz vor Weihnachten laufen und wie sollen die betroffenen Anlieger künftig früher informiert werden? OB Ursu erläutert, dass es zu Verzögerungen beim Bauvorhaben der Stadtwerke kam, außerdem braucht es eine Spezialfirma, die nicht immer Zeit hat. Die Kommunikation bezeichnet er als suboptimal. Der Vorfall wurde ausgewertet mit Stadtverwaltung, Stadtwerken und Händlern. Es soll nun deutlich schneller informiert werden. Glück im Unglück: Die Gehwege sind zugänglich, damit halten sich die Einschränkungen in Grenzen. Außerdem haben die SWG zugesagt, die Baustelle so schnell wie möglich abzuschließen.
Es folgen einige Beschlüsse.
Für den Eigenbetrieb Städtischer Friedhof Görlitz beschließen wir eine Korrektur von bilanziellen Abrechnungen. Im Original heißt der Antrag: „Eigenbetrieb Städtischer Friedhof Görlitz – Verfahrensablauf Behandlung Grabnutzungsgebühren und Beschluss zur Gewinnabführung sowie der Verrechnung Forderungen und Verbindlichkeiten aus Leistungsbeziehungen“. Das ist etwa so spannend für mich wie eine neue Folge Literarisches Quartett. Gehört aber auch zum Stadtratsleben.
Im nächsten Punkt aktualisieren wir die Kita-Rahmenvereinbarungen mit den freien Trägern. In Görlitz gibt es 19 Organisationen wie ASB, DRK und Co., die 30 Kitas betreiben. Der vertragliche Rahmen ist in die Jahre gekommen. Das wurde in gemeinsamer Arbeit von Verwaltung und Trägern erneuert. Was das in Zahlen ausmacht, werden wir erst 2025 sehen, wenn alle Abrechnungen durch sind. Dass Kinderbetreuung nicht günstiger wird, ist aber allen klar. Die Stadtspitze ist zufrieden mit dem Ergebnis. Mit der Rahmenvereinbarung lässt sich der Haushalt besser planen. Finden die Stadträte auch und beschließen die Vorlage bei fünf Enthaltungen. Etwas unzufrieden ist Die Linke, weil die Zuarbeit unserer Finanzverwaltung nicht öffentlich vorliegt. Das möchte Torsten Ahrens generell geprüft haben. Finde ich nachvollziehbar, schließlich sollten wir keine Geheimnisse haben, wenn es um Steuergeld geht. Im konkreten Fall begründet es das Rathaus so, dass die zahlenmäßigen Prognosen sehr unsicher sind und das Verfahren noch läuft. Noch ist die Vereinbarung nicht unterschrieben.
Ein heißes Eisen war in den letzten Monaten der bereits beschlossene Verkauf von Grundstücken mit Kleingärten. Die Stadt brauchte zwischenzeitlich Geld für den Bau von Freiwilliger Feuerwehr und Kita Südstadt. Die Kleingärten mussten herhalten. Dann kamen die überraschenden Birkenstockmillionen ins Gewerbesteuersäckel und die Eile war vorbei. Deshalb zieht sich nun der Verkauf. Im Stadtrat beschließen wir weitere Grundstücke an Kommwohnen zu geben, die derzeit an den Niederschlesischen Kleingartenverband verpachtet sind. Dies betrifft die Kleingartenanlagen „Albert-Blau-Straße“, „Am Heizhaus“, „Am Helenenbad“, „An der Schäferei“, „An der Sternwarte“, „Blumenaue“, „Sophienaue“, „Energie“, „Kreuzkirche“, „Ladenstraße“ und „Schlauroth“. Der Verkehrswert der Grundstücke beträgt gut 500.000 Euro.
Meine Kollegin Jana Krauß ist Vorsitzende des Kleingartenbeirates. Sie bedankt sich für die gute Kommunikation. Diese Vorlage räumt viele Ängste aus. So beschäftigt die Kleingärtner die Frage, ob ein neuer Eigentümer die Gärten einfach plattmachen kann, um daraus Eigenheimstandorte zu entwickeln. Nein, das ging noch nie und ist auch kein Ziel. Da es immer gut ist, so etwas schriftlich zu haben, wird folgender Satz mit beschlossen: „In den Kaufvertrag ist eine Formulierung aufzunehmen, die sicherstellt, dass der derzeitige Nutzungszweck beibehalten wird. Änderungen können nur durch Stadtratsbeschluss – unter Einbeziehung des Kleingartenbeirates – vorgenommen werden.“. Außerdem soll bald ein Kleingartenentwicklungskonzept erarbeitet werden.
Bei zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen wird der Verkauf beschlossen.
Regelmäßig begegnet uns der European Energy Award. Seit 20 Jahren beteiligt sich Görlitz an diesem Programm und war die erste Kommune in Sachsen, die sich damals das Schild an die Ortseingangstafeln schraubte.
Der Preis ist ein Anreiz, um als Kommune Energie einzusparen und effizient einzusetzen. Die Themen reichen aber deutlich weiter. Bis zum Verkehr und zur papierlosen Verwaltung. Wir finden es gut, dass es in der Verwaltung Leute gibt, die dieses Thema regelmäßig bearbeiten. Denn Beifall gibt es dafür kaum. Im Stadtrat wettert die AfD seit 2019 mit Vorliebe gegen den Award und uns gehen die Maßnahmen nicht weit genug. Beziehungsweise fühlen wir uns wie in einem Bummelzug. Der European Energy Award bietet eine sehr gute Aufstellung. Aus dieser geht hervor, wie langsam wir sind. Nur drei Beispiele: Das Verkehrskonzept soll erst Mitte 2026 vorliegen. Falls ich dann noch im Stadtrat mitarbeite, hat mich die Fortschreibung der Verkehrsplanung sieben Jahre begleitet. Zweites Beispiel: In der Verwaltung wird der Einsatz von E-Fahrzeugen seit 2016 geprüft. Ein Ergebnis der Prüfung scheint noch nicht vorzuliegen. Und drittes Exempel: Während im Baltikum die Menschen komplett papierlos leben, plant das Rathaus Görlitz bereits im Jahr 2026 die Einführung von E-Rechnung, E-Formularen und E-Akten.
Mein Kollege Danilo Kuscher lobt diese Ehrlichkeit, auch wenn er sich mehr Tempo wünscht. Wasser auf unsere Mühlen ist eine Formulierung der Verwaltung: „Die Detailbetrachtung der Handlungsfelder hinsichtlich der Zielerreichung zeigt (…), dass es nach wie vor noch größeres Potenzial in den direkt beeinflussbaren städtischen Handlungsfeldern „Kommunale Gebäude und Anlagen“ sowie „Kommunikation, Kooperation“ gibt. Genau dieses Potenzial wollen wir nutzen. Zum Beispiel für Photovoltaik. Dazu haben wir einen Antrag eingereicht, der am Ende der Sitzung behandelt wird. Mit großer Mehrheit wird der Maßnahmeplan zum European Energy Award angenommen.
Spannender als es wirklich ist, klingt die Überschrift des nächsten Themas: Leitfaden zum barrierefreien Ausbau von Straßenbahn- und Bushaltestellen in der Stadt Görlitz. Man könnte denken, hier geht es um Gestaltung und Ästhetik von Haltestellen. Irrtum, es ist eine schematische technische Grundlage für 113 Haltestellen mit 240 Haltesteigen. Unter dem Blickwinkel von diversen Einschränkungen und Behinderungen, die Fahrgäste haben können. Insofern darf man keine Wunderdinge erwarten. Die konkrete Ausgestaltung ist einer der nächsten Schritte. Es gibt ein Wort-Duell zwischen Linken-Stadtrat Mirko Schultze und Bürgermeister Benedikt Hummel. Der Linke vermisst technische Innovationen und bemängelt die weiterhin präsenten Fahrtenautomaten. Der Bürgermeister hat eine kurze Zündschnur, fühlt sich persönlich angegriffen und wirft dem Stadtrat vor, die Unterlagen nicht gelesen zu haben. Großes Hallo, doch nach kurzer Zeit beruhigen sich alle wieder und es wird zur Bockwurst gerufen. Vorher stimmt der Stadtrat mit großer Mehrheit der Vorlage zu. Es wird dauern, bis wir komplett barrierefreie, moderne Haltestellen im Stadtgebiet haben. Angesichts des Umfangs und unserer schwierigen Finanzlage brauchen wir eine Prioritätenliste. Wo die meisten Leute ein- und aussteigen, wird zuerst gebaut. Das dürften die zentralen Orte Demi und Bahnhof Südausgang sein. Beide Areale müssen stadtplanerisch angefasst werden. Wir bekommen bereits bestehende Überlegungen hoffentlich bald präsentiert.
Die Dichter und Dichterinnen von Vorlagen haben sich auch beim nächsten Titel selbst übertroffen: „Einreichung des aktualisierten GIHK und gleichzeitige Beantragung der Fördermittel für den Förderzeitraum 2024-2027, Förderprogramm ESF Plus 2021-2027: Nachhaltige soziale Stadtentwicklung“. Ein Titel, so lang und anheimelnd wie ein Parteitagsbericht im ND von 1979. Zum Glück geht’s im Stadtrat um die Inhalte, nicht um die Überschriften.
Es gibt einen neuen Förderzeitraum für den Europäischen Sozialfonds, kurz ESF, der nun ein Plus bekommen hat und ESF Plus heißt. Ein Plus bekommen Förderprogramme meist dann, wenn sie eigentlich schon so lange laufen, das sie nicht mehr verlängert werden. Da sie aber eine gute Wirkung entfalten, werden sie nicht beendet, sondern durch das PLUS zu einem formal neuen Programm.
Es geht bei ESF Plus also ums Verstetigen von guten Projekten. Deshalb sollen auch in Görlitz die bekannten Träger ihre bisherigen Projekte fortsetzen. Zum Einsatz kommen sie in der Innenstadt West, ein Viertel mit Entwicklungsbedarf, wie es so unschön heißt. Klartext: In Stadtgebieten, wo es mehr Leute gibt, die keinen Job haben, nicht gesund sind, Süchte ausleben, den Weg zur Schule nicht finden – oder was auch immer – in einem solchen Kiez brauchst du Sozialarbeiter. Wenn das eine Stadt nicht selbst leisten kann, übernehmen das soziale Träger mit dafür ausgebildeten Fachleuten. Den meisten Städten ist diese Arbeit der Vereine so viel wert, dass sie die nötigen Eigenmittel zahlen, den der ESF verlangt. Bei den Projektträgern macht das 15% aus. Die sie in Görlitz selbst aufbringen müssen. Weil das eine CDU-AfD-Mehrheit im Stadtrat vor rund eineinhalb Jahren so beschlossen hat.
Einige Vorhaben gibt es nicht mehr, andere sind noch da. Zum Glück. Konkrete Projekte bis 2027 sind ein CYRKUS-Vorhaben des Kulturbrücken e.V., der Second Attempt ist mehrfach am Start, u.a. mit seinem Maker Space und dem Stadtgärtnern. Gründerinnen und Gründer unterstützt der Ideenfluss e.V. im Ahoj. Auch dabei ist das Projekt „Nachbarschaft fördern“ von der Freien Evangelischen Gemeinde. Die Stadtverwaltung stellt Netzwerkmanager und Quartiersmanager, damit es eine gemeinsame strategische Arbeit für die Innenstadt West gibt und nicht nur Einzelvorhaben. Auch das finanziert zum Großteil der ESF. Görlitz muss bis 2027 lediglich knapp 60.000 Euro Eigenmittel beisteuern.
In der vorhersehbaren, von der AfD angezettelten Debatte, mussten Kulturbrücken e.V. und Second Attempt für die immergleichen Anschuldigungen herhalten. Wippel und Co. haben von Sozialer Arbeit keinen Schimmer und verwechseln diese Projekte mit Freizeitvergnügen oder Angeboten, für die man Eintritt zahlt. Fraktionsführer Jankus bezeichnet das ESF-Konzept als „irre“ und versteigt sich zur Aussage, dass niemand von den Trägern Interesse habe, die Jugendlichen so zu betreuen, dass sie keine Hilfe mehr benötigen. Ich habe bislang geglaubt, der tut nur so, als würde er Zusammenhänge nicht verstehen. Nach viereinhalb Jahren mit Herrn Jankus in Sitzungssälen überdenke ich mein Urteil.
Ohnehin handelt es sich um einen Sturm im Wasserglas. Finanzchefin Birgit Peschel-Martin erklärt, dass wir heute lediglich den Förderantrag beschließen. Ob wir eine Förderung in Anspruch nehmen, behandeln wir, wenn der Bescheid vorliegt. Also voraussichtlich im Frühjahr 24.
Zum Ende des Sitzungstages ist unser Antrag dran: Potenzial erneuerbarer Energien in Görlitz ermitteln, so heißt er. Der Inhalt ist recht simpel: Wir wollen eine Analyse, welches Potenzial wir über Photovoltaikanlagen auf Dächern von Gebäuden im städtischen Besitz sowie auf Flächen wie z.B. Parkplätzen haben. Annett, eine sympathische Frau mit Ahnung von Haushalt und Wirtschaft und Politik, hat die Debatte verfolgt und schreibt auf Facebook sehr treffend: „Mit Hilfe dieser Analyse hätten wir berechnen können, wieviel Strom wir für den Eigenbedarf oder zum Verkauf ernten können. Wenn die Stadt weniger oder gar keine Energiekosten fürs Heizen, Licht, Kochen und Warmwasser in den Kitas und in den Schulen hat – dann könnte man ja auch überlegen, die Gebühren für die Eltern zu senken. Oder man könnte als familienfreundliche Stadt überlegen – ein warmes Mittagessen pro Woche kostenlos an die Kinder auszugeben. Man könnte Familien unterstützen. Oder aber ein wenig Geld einnehmen für den ohnehin klammen Haushalt. Und weil der so klamm ist, werden wir sicher bald wieder eine Diskussion über die Erhöhung der Kita- und Hortgebühren führen. Schon bissel verrückt, oder?“
Besser kann man es nicht zusammenfassen. Wird bei anderen Themen auch gemacht. Aufgabenfülle ermitteln, Aufwand und Nutzen abwägen, Geld zählen, Prioritätenliste erstellen, loslegen. Aber mein Fraktionskollege Danilo Kuscher, Elektriker und Spezialist für Erneuerbare, kann noch so werben und mit Fakten aufwarten. Es ist der großen Mehrheit im Stadtrat egal, ob man mit den immer günstiger werden PV-Modulen die Hälfte der Energiekosten für eine Schule sparen könnte.
Die CDU schickt Matthias Urban in die Bütt. Als Schornsteinfeger ist er oft auf dem Dach. Dennoch fehlt ihm heute der Überblick. Wir beantragen eine Übersicht zum Potenzial von konkreten Gebäuden und Flächen. Kollege Urban verzettelt sich direkt mit Umsetzungsfragen: Projekte müssten vorfinanziert werden. Dafür haben wir kein Geld. Wie sollen die potenziellen Flächen vermarktet werden? Gemeinsam mit Partnern oder allein? Als eine große Fläche oder parzelliert? Und was ist mit den PV-Anlagen, wenn es Schäden auf Dächern gibt? Völlig neue Fragen wirft Matthias Urban hier auf. Fragen, die möglicherweise die Welt mit ganz anderen Augen auf das Thema Photovoltaik schauen lässt.
Nimmt man es der CDU schon nicht mehr krumm, dass sie den Puls der Zeit nur schwach noch spürt, ist bemerkenswert, wie die Fraktion „Bürger für Görlitz“ ans Thema rangeht. Sie hat mit Prof. Schulze ein Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Der Professor fehlt in der Sitzung. Wie passend, könnte man meinen, angesichts des Statements von Fraktionschef Karsten Günther-Töpert. „Natürlich sind wir für die klimaneutrale Stadt 2030, auch wenn wir dem Antrag nicht zustimmen. Diese Erhebung sehen wir im Moment als nicht zielführend. Sie kostet Zeit und Geld und bindet Personal, das an anderer Stelle fehlt. Außerdem ist sie irgendwann nicht mehr aktuell. Die Verwaltung muss dieses Thema einfach immer mitdenken. Ich wäre enttäuscht, wenn es nicht so wäre.“
Ich beglückwünsche Karsten zum gelungenen Spagat. Hoffentlich zieht es noch eine Weile in der Leistengegend. Zwei inhaltliche Bemerkungen dazu: Wir hätten den Antrag nicht gestellt, wenn wir wüssten, dass die Verwaltung Photovoltaik mitdenkt. Dies ist nicht der Fall, zuletzt zu besichtigen bei Schulsanierungen oder den Neubauten von Kita und Feuerwehr. Wenn auf unsere Nachfragen hin eine PV-Idee geprüft wird, heißt es: Rechnet sich nicht. Beispiel Schulcontainerdächer. Danilo findet Lösungen, die funktionieren. Die Verwaltung nicht. Weil sie PV-Module einkaufen würde, die viel zu teuer sind.
Zweite inhaltliche Bemerkung zum Statement der „Bürger“: Ich kann am Phrasenschwein vorbeigehen, fünf Euro reinwerfen und darf dann sagen, dass eine Erhebung irgendwann unaktuell ist. Ja und? Das trifft auf jeden Plan zu, wenn man ihn nicht fortschreibt. Zumindest haben wir bei Dächern und Flächen die Gewissheit, dass sich nichts über Nacht ändert. Nicht mal die Himmelsrichtungen.
Unterstützung gibt’s für unseren Antrag von den Linken. Der OB hält sich raus, obwohl es Herr Ursu ist, der das Transparent „Klimaneutrale Stadt“ in jede Kamera hält. Fürs Rathaus argumentiert Bürgermeister Hummel. Er ist schonungslos ehrlich. In seinem Haus gibt es keine personellen Ressourcen, um das Potenzial von PV-Anlagen auf kommunalen Flächen zu ermitteln. Soweit ich es richtig verstanden habe, geht es dabei nicht um eine quantitative, sondern um eine qualitative Aussage. Gute Ehrlichkeit. Leider werden daraus keine Handlungen abgeleitet. Es kann doch nicht die Lösung sein, dass wir Herausforderungen ignorieren, weil uns Leute fehlen, die sich damit auskennen. Da können wir aufhören. Abschließen und der Zukunft den Schlüssel in den Kasten werfen. Tschüss, wir machen nicht mehr mit. Görlitz braucht keine Photovoltaik. Görlitz ist schön.
Ich verstehe Kabarettisten, die angesichts solcher Debatten Angst haben, überflüssig zu werden.
Unser Antrag wird krachend abgelehnt. Neben den Armen von AfD und CDU recken sich auch jene der Fraktion Bürger für Görlitz nach oben. Demokratie ist manchmal schwer nachvollziehbar. Auf der anderen Seite aber auch ohne Alternative. Wir werden diejenigen, die sich öffentlich als progressive Umweltfreunde gerieren, an ihren Taten messen. Die Teilnahme an fancy Workshopformaten zähle ich nicht als Tat.
Passend zu dieser Debatte und Abstimmung vielleicht ein kleiner Exkurs in die Stadtratspraxis. Wie geht unsere Fraktion in so einem Fall vor? Ein Antrag aus einer anderen Fraktion kommt rein, meist mehrere Wochen vor der Stadtratssitzung. Man hat Zeit, sich damit zu befassen, berät sich nichtöffentlich in Ausschüssen. Wollen wir ein Thema unterstützen, haben aber mit einzelnen Punkten im Antrag Schwierigkeiten oder fehlt uns ein Aspekt, wenden wir uns an die einreichende Fraktion. Bestenfalls wird unsere Änderung direkt mit aufgenommen. Oder wir diskutieren sie im Stadtrat, wo darüber abgestimmt wird. Was ich damit sagen will: Ich muss nicht gegen ein Thema stimmen, was mir wichtig ist. Die Gemeindeordnung gibt mir Möglichkeiten, die Ausrichtung von Anträgen zu verändern oder zu ergänzen. Diese Arbeitsweise hat einen prima Nebeneffekt: Die Öffentlichkeit kann nachvollziehen, welche Überlegungen von welchen Mitgliedern des Stadtrates angestellt werden.
Ich möchte den Subjektiven Bericht gern positiv beenden. Und so freue ich mich über die wiederentdeckte Achtsamkeit bei den Fraktionen AfD, CDU und BfG beim Umgang mit Steuergeld. Es gibt viele besorgte Fragen, wie Görlitz sich eigentlich noch Photovoltaik leisten soll. Oder gar Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen. Wo doch die Kassen leer sind. Das sind wunderbare Entwicklungen. Noch vor wenigen Wochen hat man sich beim Thema Stadthalle dafür gar nicht interessiert.
Text und Foto: Mike Altmann