Subjektiver Bericht aus dem Stadtrat vom 26.9.2024
Wir hören zunächst einige Infos von OB Ursu und Bürgermeister Hummel. Neu und für die Öffentlichkeit interessant ist vor allem, dass in Hagenwerder die Kraftwerkstraße bald dauerhaft für den öffentlichen Verkehr genutzt werden kann. Es gibt nun eine Genehmigung des zuständiges Landesamtes. Darum hatte sich der Ortschaftsrat unter Leitung des CDU-Stadtrates Andreas Zimmermann lange bemüht. Damit wird Tauchritz vom Durchgangsverkehr entlastet – so die Hoffnung im Ortsteil.
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Es folgt eine Fragestunde für Stadträte. Ich greife drei Themen raus: Karsten Günther-Töpert (BfG) möchte wissen, wie die Planungen bei der undichten Jahnsporthalle vorankommen. Bürgermeister Benedikt Hummel hat keine Neuigkeiten. Man wird sich bei den notwendigen Sanierungsarbeiten aufs Dach und energetische Maßnahmen konzentrieren. Wenn die Kosten zusammengestellt sind, kann 2025 ein Förderantrag gestellt werden. Gebaut ist dann freilich noch lange nicht. Da nun die Regenzeit beginnt, gab es ein Gespräch mit den Vereinen, um die Sporthallennutzung zu optimieren und besser auf Sperrungen der Jahnhalle wegen Nässe reagieren zu können.
Hans-Christian Gottschalk, ebenfalls BfG erkundigt sich, wie viele Schulen in Görlitz vom Startchancenprogramm zur Förderung von „Brennpunktschulen“ profitieren. Die zuständige Amtsleiterin Anett Rafelt erläutert, dass bislang nur die Oberschule Innenstadt anhand eines Sozialindex‘ ausgewählt wurde. In den nächsten Jahren kommen zwei Grundschulen und eine Oberschule hinzu. Das Programm bietet Schulen ein sogenanntes Chancenbudget, über das sie eigenständig entscheiden. Zweite Ebene ist ein Investprogramm für die Stadt als Schulträger. Was da möglich ist, ist noch unklar. Es fehlt das Regelwerk.
Aus der AfD-Fraktion kommt die Frage nach dem Zustand der Brücken in Görlitz. Dass dieses Thema aufpoppt nach dem Einsturz der Carola-Brücke in Dresden war klar. Drei von zwölf Brücken in Görlitzer Zuständigkeit sind in kritischem Zustand. Bereits gesperrt wurde die Pließnitzbrücke in Hagenwerder, wo es Pläne für einen Ersatzneubau gibt. Unter regelmäßiger Beobachtung steht das kaum als Brücke erkennbare Bauwerk hinter dem Wasserwerk, das zum Stadion der Freundschaft führt. Ganz schlecht in Form ist die Siebenbörner Bahnbrücke am Helenenbad. Dort werden bereits ständig Einzelmaßnahmen durchgeführt. Schwere Fahrzeuge dürfen nicht mehr drüber. Eine Vollsperrung ist nur eine Frage der Zeit. Im Zuge von Strecken-Elektrifizierungen würde diese Bahn-Brücke saniert, hofft das Rathaus. Insgesamt gibt es laut Stadtverwaltung einen Rückstau bei Reparaturen an Brücken in Höhe von zwei Millionen Euro. Geld, das Görlitz nicht mehr hat. Wie uns Finanzchefin Birgit Peschel-Martin anschließend erklärt.
Ihr Tagesordnungspunkt heißt: Haushaltsdurchführung 2024 – Unterrichtung per 30.06.2024
Es werden jede Menge Zahlen an die Wand geworfen. Verschiedene Planungen gegenübergestellt. Unterm Strich steht folgendes: Die Stadt Görlitz wird vor allem durch viele unbesetzte Stellen Personalkosten in Millionenhöhe einsparen. Damit kommen wir bis Ende 2024 hin. Erst 2025 sind die Kassen komplett leer, so dass wir dann gezwungen sind, ein Haushaltssicherungskonzept zu beschließen. Auf sagenhafte 13 Millionen Euro schätzt die Kämmerin das jährliche Defizit ab 2025. Damit steht nur noch Geld zur Verfügung für Pflichtaufgaben und bereits begonnene Projekte, zu denen es vertragliche Verpflichtungen gibt. Heißt konkret: Wir brauchen ab 2025 Kassenkredite für die laufenden Ausgaben. Und wir haben keinerlei Geld für dringende Werterhaltungsmaßnahmen in Kitas, Schulen, Sporthallen, Straßen, Brücken etc. zur Verfügung. Wo doch schon jetzt dringende Reparaturen in zweistelliger Millionenhöhe aufgelaufen sind. Die Substanz wird weiter bröckeln.
Ich erlaube mir die Frage, ob vor diesem Hintergrund die Sanierung der Stadthalle sowie die damit zusammenhängenden Maßnahmen Zuwegung, Parkhausbau und Gestaltung des Umfelds gesichert sind. Frau Peschel-Martins Antwort ist eindeutig: „Die Sanierung der Stadthalle ist gesichert. Punkt.“ Heißt für mich: Wir werden Stand jetzt eine sanierte Stadthalle bekommen, für die es aber weder eine ausreichend dimensionierte Zufahrt noch ausreichend Parkplätze gibt.
Wir sollten Klartext reden: Görlitz lebt seit Jahren über seine Verhältnisse. Es gibt leider keine Mehrheit im Stadtrat, sich langfristig um Lösungen zu bemühen. Stattdessen atmen wir wie die Grundschüler auf, weil die Klassenarbeit nochmal verschoben wird. Sie wird aber kommen. Und wir werden ohne Lernkurve ziemlich dumm dastehen.
Da man aber überall auch das Positive sehen soll, kommt dieser Nachtrag: Weil wir noch ein paar Taler auf dem Konto haben und im Verlauf der Sitzung ein Verkauf von weiteren Kleingartengrundstücken an Kommwohnen beschlossen wird, kann die bemitleidenswerte Stadtmauer an der Altstadtbrücke (siehe Foto) endlich saniert werden. 100.000 Euro sind dafür vorgesehen.
Verkauf weiterer Kleingärten an Kommwohnen
Eben schon angedeutet: Bereits 2020 hatte der Stadtrat grundsätzlich beschlossen, Kleingärten an Kommwohnen zu verkaufen, damit Geld reinkommt für Investitionen (Feuerwehrneubau, Kitaneubau Südstadt).
Der Verkauf erfolgt peu a peu. Das hängt mit Dingen wie Vermessungen zusammen. Erst wenn alle Daten komplett sind, kann man einen Preis machen und verkaufen. Nun verkaufen wir die Kleingartenanlagen „Am Ablaufberg“, Am Elsternweg“, „Brose“, „Zur Sonnenblume“, „Dr. Schreber“, „Am Gleisdreieck“, „Pflaumenallee Ost“, „Pflaumenallee West“, „Reuterstraße“, „Sonnenland“ Hagenwerder und „Sonnenland“ Görlitz. Der Verkehrswert der Grundstücke beträgt gut 400.000 Euro. Kommwohnen hat diesen Kaufpreis bestätigt. Der Niederschlesische Kleingärtnerverband e. V. wurde als bisheriger Pächter angehört.
Es gibt immer wieder Gerüchte, dass Kommwohnen aus den Kleingärten Eigenheimstandorte machen will. Davon ist aktuell nichts bekannt. Es wird auch nicht „einfach so“ möglich sein. Deshalb wurde ein Kleingartenbeirat eingerichtet. Außerdem bräuchte es jeweils einen Beschluss des Stadtrates.
Der Verkauf wird einstimmig beschlossen.
Geschäftsordnung des Stadtrates
Die AfD möchte die Begrenzung des Anfragenrechts von Stadträten aus der Geschäftsordnung kegeln. Pro Anfrage soll es künftig nicht mehr als fünf Einzelfragen geben. OB Ursu begründet das mit der großen Belastung der Verwaltung. (Bei zu vielen Einzelfragen ist es teilweise nicht möglich, die Beantwortung in der vorgegebenen Frist von vier Wochen zu schaffen.) Außerdem sei das auch im Landtag üblich. Die sogenannte „Kleine Anfrage“ dort darf nicht mehr als fünf Fragen beinhalten. Wer eine „Große Anfrage“ stellt, hat unbegrenztes Fragerecht, muss dafür aber auch zehn Wochen auf die Antworten warten. AfD-Stadtrat Jakob Garten argumentiert mit Sprüchen des Bundesverfassungsgerichtes, dass ohne umfangreiche Fragerechte keine Mandatsausübung möglich sei. Das drohende Ende der Demokratie wird an die Wand des Sitzungssaales gemalt. Was übertrieben ist. Ich appelliere an die Kreativität der AfD: Wenn für eine Anfrage eines ihrer Stadträte fünf einzelne Fragen nicht ausreichen, könnten 13 weitere Stadträte aus der Rechtsaußenfraktion helfen. Der Antrag wird mit großer Mehrheit abgelehnt, die Begrenzung bleibt.
Auch das zweite Ansinnen der AfD-Fraktion kommt nicht durch. Sie möchte die Redezeit für fraktionslose Stadträte von zwei auf drei Minuten pro Tagesordnungspunkt erhöhen. Eine offensichtliche Charmeoffensive in Richtung des Stadtrates der ultrarechten Bewegung Freie Sachsen. Zur Erklärung: Jede Fraktion bis zu acht Mitgliedern hat acht Minuten Redezeit. Jeder weitere Stadtrat in der Fraktion bringt eine Minute mehr. Insofern ist der Einzelstadtrat mit seinen zwei Minuten gut bedient. Antrag abgelehnt.
Unsere Fraktion unternimmt einen neuen Anlauf, dass die Liveübertragung des Stadtrates für einen Monat gespeichert wird. Meine Fraktionskollegin Jana Krauß von den Bündnisgrünen bringt es auf den Punkt: Nur wenige haben die Möglichkeit den Stadtrat an einem Donnerstag ab 16.15 Uhr zu verfolgen. Stadträte, die ihre Redebeiträge nicht im Internet für die Öffentlichkeit verfügbar machen wollen, können bereits in der laufenden Sitzung verlangen, dass die Übertragung pausiert. Damit gibt es keinen Mehraufwand durchs nachträgliche Schneiden.
Die Mehrheit sieht keinen Bedarf an mehr Transparenz. AfD-Stadtrat Gerald Rosal droht, dass er jedem Livestream wiedersprechen werde, wenn es eine Aufzeichnung gibt. AfD-Fraktionschef Sebastian Wippel fällt um. Noch vor kurzem forderte er im Kreistag eine Aufzeichnung. Nun, im Stadtrat, bringt er seine eigene Mannschaft nicht hinter sich. Lascher Grund: Die räumlichen Bedingungen im Ratssaal ließen eine Aufzeichnung nicht zu.
Eindeutige Abstimmung: Es gibt nur zehn Stadträte, die unserem Antrag folgen. 21 stimmen dagegen, zwei enthalten sich.
Planungen für REWE-Markt im Waggonbau
Der nächste Punkt ist positiv: Es geht wieder ein Stück voran beim geplanten Bau des REWE-Marktes auf dem ehemaligen Waggonbaugelände. Das Projekt läuft schon seit 2017. Nächster Meilenstein: Wir stimmen dem „Abwägungs- und Satzungsbeschluss zum Bebauungsplan“ zu. Seit April 2022 lief diese Abwägung, nachdem die Öffentlichkeit und die „Träger öffentlicher Belange“ ihre Hinweise und Einwände zum B-Plan gegeben hatten. Nächster Schritt ist nun die Genehmigung des Bebauungsplanes, was Ende 2024 passieren könnte. Frühestens 2026 soll der REWE fertig sein.
Belebt wird demnächst auch das Gewerbegebiet Klingewalde.
Wir beschließen die Aufstellung eines Bebauungsplanes für das Construction Future Lab. Die gemeinnützige GmbH, eine Ausgründung der TU Dresden, wird in Klingewalde die Zukunft des Bauens mit Partnern aus der Wirtschaft von der Forschung in die Anwendung bringen. Dafür entstehen ein Bürokomplex und eine Laborumgebung unter freiem Himmel. Vereinfacht darf man sagen: Es kommt ein riesiger Sandkasten aufs Gelände der ehemaligen Schweinemastanlage. Warum braucht es überhaupt einen B-Plan? Das Gelände ist ja bereits erschlossen. Die Frage ist berechtigt, die Antwort sehr deutsch: Bisher hat das Areal den Status Gewerbegebiet. Dort dürfen nur Firmen drauf mit Gewinnerzielungsabsicht. Das ist bei der CFLab gGmbH nicht der Fall. Deshalb wird aus dem Teil des Gewerbegebietes, das CFLab nutzt, ein „Sondergebiet für Wissenschaft und Forschung“. Vom CFLab nicht genutzte Flächen werden nicht überplant. Damit sind kleine Gewerbeansiedlungen auch weiterhin möglich.
Vergabe Straßenbeleuchtung
Und noch eine gute Nachricht: Görlitz wird weiter erleuchtet. Wir beschließen nach einem komplizierten und in den Ausschüssen lange diskutierten Vergabeverfahren, dass die Stadtwerke Görlitz auch in den nächsten 15 Jahren unsere Straßenbeleuchtung übernehmen, einschließlich der Energielieferung. Mein Kollege Danilo Kuscher (Motor) hofft, dass wir uns durch den Vertrag nicht die Möglichkeit verbauen, dass externe Anbieter Laternen als Ladesäulen für E-Mobile betreiben. Der Vertreter der Verwaltung wiederholt die umstrittene Ansicht, dass das in Görlitz technisch nicht möglich sei (woanders geht’s). Aber wenn es die technischen Möglichkeiten gäbe, spricht im Vertrag nichts dagegen.
Gremienwahlen
Es folgen für die Stadträte 17 Wahlen zu Gremien. Dabei fällt auf, dass sowohl AfD- als auch CDU-Fraktion nicht einig sind. Immer wieder wandern Stimmen zwischen diesen beiden Fraktionen.
Ausgerechnet bei der Wahl zum nicht wirklich kriegsentscheidenden Gremium „Abwasserzweckverband Weißer Schöps“ proben offenbar einige CDU-Leute den Aufstand. Es gibt nur einen Sitz für einen Vertreter aus den Reihen des Stadtrates. Die AfD stellt Lutz Jankus auf. Eine gemeinsame Liste von CDU und BfG hat Karsten Günther-Töpert von den „Bürgern“ nominiert. Der AfD-Mann bekommt letztlich 16, Günther-Töpert 15 Stimmen.
Es handelt sich um eine geheime Abstimmung – aber es schauen alle auf die CDU-Fraktion, als das Ergebnis verkündet wird. Nur teilweise sind betretene Gesichter zu sehen. Auch bei der Wahl zum Stellvertreter für die Verbandsversammlung der Sparkasse gibt es ein interessantes Ergebnis: AfD-Mann Dietrich Kuhn bekommt 16 Stimmen, CDU-Kandidat Andreas Zimmermann nur 14. Ich hoffe, dass die CDU-Fraktion berechenbarer wird. Sonst wird es die bürgerliche Mitte im Stadtrat schwer haben, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten.
Ich bleibe optimistisch und freue mich auf die nächste Sitzung im Oktober, dann hoffentlich ohne ermüdenden Wahlmarathon. Dass wir in digitalen Zeiten mit Zetteln, Stiften und Wahlurnen hantieren, ist ohnehin ein Zeugnis für eine gewisse Veränderungsmüdigkeit in Görlitz.
Wenn ihr Anregungen habt, mit uns unzufrieden seid oder gar die Ansicht vertretet, dass in Deutschland zu wenig gelobt wird, dann meldet euch bei uns.
Text/Foto: Mike Altmann