„Ein nicht tragbares Risiko“

Aus der Stadtratssitzung vom 27.1.2022. Stellungnahme des Fraktionsvorsitzenden von Motor Görlitz/Bündnisgrüne, Mike Altmann zur Freigabe von Aufträgen im Umfang von 2,5 Millionen Euro für die Stadthalle bevor ein Fördermittelbescheid vorliegt (Text aus dem Manuskript, gesprochenes Wort kann abweichen).

Meine Damen und Herren,

ich habe das Gefühl, wir führen eine Debatte „Stadthalle – ja oder nein“. Das ist aber gar nicht die Frage. Es geht um eine einfache Risikobewertung. Gehen wir das Risiko ein, 2,5 Millionen Euro zu investieren, bevor wir Sicherheiten haben? Die Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne hat sich intensiv mit dem vorläufigen Betriebskonzept, der Entwurfs-Planung und den Varianten beschäftigt.

Zweifellos bietet eine Stadthalle als Veranstaltungs- und Kongresszentrum neue Möglichkeiten. Sie kann überregionale und internationale Gäste anlocken, die nicht nur in der Stadthalle Geld ausgeben. Ob und in welchem Umfang das gelingt, kann heute niemand genau vorhersagen. Allerdings erwarten wir eine solide und nachvollziehbare Planung. Dazu gehören in jedem Fall eine Marktanalyse und Betrachtungen zur Umwegrentabilität. Das suchen wir im Betriebskonzept vergeblich. Es fehlen desweiteren grundlegende Berechnungen. Weder die geplanten Veranstaltungen noch die Einnahmen und Ausgaben sind für uns nachvollziehbar. Die grafische Aufmachung ist gelungen – es fehlt an der inhaltlichen Tiefe. Für eine Millioneninvestition ist das nicht ausreichend.

Wir verstoßen gegen das Gebot der sparsamen Haushaltsführung, wenn wir ohne ausreichende Sicherheiten 2,5 Millionen Euro an Aufträgen freigeben. Stand jetzt fehlen uns 5 Millionen Euro Eigenmittel. Die letzte Hoffnung heißt Finanzamt. Ein solches Gefühl hegen nur wenige in unserem Land, wenn es um die Finanzbehörden geht. Ausgang offen.

Ein nicht tragbares Risiko besteht für uns auch darin, 2,5 Millionen Euro zu beauftragen, bevor der Fördermittelbescheid vorliegt. Es ist nicht sicher, dass alle Bestandteile der Maßnahme förderfähig sind. Wer sich mit komplexen Förderprojekten beschäftigt, weiß das. Alles was nicht förderfähig ist, müssen wir selbst finanzieren. Woher nehmen?

Wegen dieser Risiken wurde die Vergabe der Planungsleistungen im März 2020 zweigeteilt. Freigegeben sind die Leistungen bis zur Genehmigungsplanung inklusive der Einreichung eines Bauantrages. Die Weiterbeauftragung der Leistungsphasen 5-9 steht unter dem Vorbehalt, dass Investitions- und Fördermittel zur Verfügung stehen und es eine positive Grundsatzentscheidung zur Durchführung der Gesamtmaßnahme gibt.

All das ist heute nicht gegeben. Wir fassen also einen Beschluss, der dem Vergabebeschluss vom März 2020 widerspricht.

Gänzlich ungeklärt ist die Frage des späteren Betriebs. Wir wissen, dass sich die Haushaltslage in den kommenden Jahren nicht verbessert. Auch ohne Stadthallenbetrieb ist eine Konsolidierung nötig, in die wir zügig planerisch einsteigen sollten. Natürlich kann man sagen: Wir vertrauen auf eine gute wirtschaftliche Entwicklung der Stadt oder auf den Ministerpräsidenten. Das ist aber nicht unser Anspruch an kommunalpolitische Arbeit.

Die nötigen Betriebszuschüsse von etwa 1 Million Euro werden sich nicht irgendwie ergeben. Wir müssen uns jetzt hinsetzen und gemeinsam mit der Bürgerschaft diskutieren, unter welchen Bedingungen ein Stadthallenbetrieb möglich ist.

Ja aber, hören wir nun vom OB und dem Bürgermeister: Ja, aber, das verzögert den ganzen Ablauf und wird zu erheblichen Mehrkosten führen. Meine Damen und Herren, wir erkennen bislang ausschließlich hausgemachte Verzögerungen. Das Betriebskonzept brauchte ein Jahr länger als angekündigt. Wir hätten schon längst die Entwurfsplanung und den Bauantrag beschließen bzw. auf den Weg bringen können.

Die vorgelegten Varianten in der Beschlussvorlage sind nicht nachvollziehbar. Ich nenne nur zwei sehr offensichtliche Widersprüche: Warum braucht das Finanzamt in Variante B und C einen Monat mehr als in Variante A? Und warum wird in Variante C sechs Monate länger für den Bau gebraucht? Das sind Märchen aus 1001 Nacht aber keine seriösen zeitlichen Varianten.

Wie schrieb der Görlitzer Unternehmerverband in seiner gestrigen Presseerklärung: „Nach vielen Jahren der Meinungsbildung zum Thema Stadthalle ist es aufgrund der aktuellen Fördermittelzusagen trotz der schwierigen Gesamtsituation eine vielleicht letztmalige Gelegenheit, dieses Gebäude nutzbar zu machen – mögliche, sich daraus ergebende Einschnitte sollten genau abgewogen werden.“ Wir können das unterschreiben und sind der Auffassung, dass diese Abwägung jetzt geschehen muss bevor weitere Aufträge ausgelöst werden. Das ist politische Aufgabe von uns Stadträten.

Im Ergebnis kommen wir zum Schluss, dass wir der Vorlage aufgrund derzeit unkalkulierbarer Risiken und unklarer Finanzierung in seiner Gesamtheit nicht zustimmen können und für den Änderungsantrag von Danilo Kuscher werben. Für den Gesamtbeschluss beantragen ich namentliche Abstimmung, da er weitreichende Auswirkungen auf künftige Leistungen der Stadt Görlitz haben kann.